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Dunkle Tage

Dunkle Tage

Titel: Dunkle Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Kunz
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genug, um einen guten Start zu haben. Andere Frauen mussten auch zur Untermiete wohnen und in den Semesterferien als Sekretärin oder Kindermädchen arbeiten. Irgendwie würde sie es schon schaffen! Du kannst alles erreichen, was du willst, hatte ihr Vater immer gesagt.
    Der Gedanke an ihren Vater war ein Fehler; sie spürte, wie ein viel zu lange unterdrückter Schmerz sich Durchbruch verschaffen wollte. Sie vermisste ihren Vater schrecklich! Sie vermisste sein Lachen, seine Zuversicht, die Gewissheit, dass sie sämtliche Sorgen bei ihm abladen konnte, weil er schon alles richten würde. Verstohlen wischte sie sich eine Träne fort. Sie konnte sich keine Trauer leisten, gerade jetzt nicht!
    Ein Klopfen riss sie aus ihren Gedanken. Friedrich kam hereingeschlichen. Er sah deprimiert aus. „Kann ich mit dir reden?“
    Sie nickte. Es war nicht das erste Mal, dass er ihr seine Sorgen anvertraute. Seit jeher waren sie Verbündete gegen den Despotismus von Max und Hermann gewesen, darüber hinaus verband sie ein gemeinsames Interesse an Kunst und Theater. Von ihren Onkeln war Friedrich der einzige, den sie leiden mochte. „Was ist los?“
    „Ich fühle mich furchtbar. Wegen gestern. Max war … schrecklich. Aber ich kann doch einem Toten nicht auch noch einen Tritt geben!“
    „Vor mir musst du nichts beschönigen. Ich weiß, wie er war.“
    Einer weiteren Aufforderung bedurfte es nicht, schon sprudelte es aus ihm heraus: „Ich hatte einen todsicheren Tipp für eine Investition, aber Max hat mir gar nicht zugehört. Er hat mich beschimpft und verhöhnt. Ich weiß selbst, dass ich in der Vergangenheit Fehler gemacht habe, aber musste er mir das immer und immer wieder vorhalten?“ Sein Gesicht nahm einen weinerlichen Ausdruck an. „Er hat nie ein Hehl daraus gemacht, dass er mich verachtet.“
    Diana seufzte innerlich. Sosehr sie Friedrich mochte und seine Nöte als Jüngster, der gegen seine titanischen Brüder nicht ankam, verstand, sosehr verabscheute sie seine Anfälle von Selbstmitleid. „Du hättest dich schon längst von ihm lösen und deinen eigenen Weg gehen sollen“, sagte sie.
    „Wie denn? Max hätte mir niemals Geld gegeben.“
    „So ganz mittellos bist du ja nun auch wieder nicht. Aber gräm’ dich nicht länger über die Vergangenheit, denk an die Zukunft! Vermutlich erbst du und hast endlich die Gelegenheit, dir ein neues Leben aufzubauen.“
    „Du meinst … weggehen?“
    „Natürlich! Was hält dich denn noch hier?“
    „Für dich ist immer alles einfach, entweder schwarz oder weiß.“
    „Du kannst nicht darauf warten, dass andere dein Leben für dich leben.“ Ein Ratschlag, den sie selbst beherzigen sollte, nicht wahr?
    „Du bist sehr streng in deinem Urteil, Vivace!“
    „Du sollst mich nicht so nennen“, sagte sie, aber sie lachte dabei.
    „Ich finde den Namen hübsch. Lebhaft – das passt doch zu dir!“
    „Trotzdem!“
    „Wie soll ich dich dann nennen? Heuschreck?“
    Sie piekste ihn in die Seite, dass er mit einem Schrei zurückzuckte. „Wer ist hier lebhaft? So, und jetzt raus, ich muss nachdenken, was ich mit meinem Leben anfange. Das solltest du auch!“
    Sinnend sah sie ihm nach, als er ihr Zimmer verließ. Friedrich hätte ein Motiv für den Mord gehabt. Sie hielt es zwar für undenkbar, dass er dazu in der Lage gewesen sein sollte, aber sie durfte ihre Urteilskraft nicht von Sympathien trüben lassen.
5
    Die letzte Bemerkung Ludwig Sebalds klang Hendrik immer noch in den Ohren, während er im Beiwagen eines knatternden NSU-Motorrads mit seinem Bruder Richtung Neukölln brauste. Leute wie Sie sind bald weg vom Fenster . Die Worte beunruhigten Hendrik mehr, als eine solch plumpe Drohung es eigentlich sollte. Aber es hatte nicht nach einer allgemeinen Verwünschung geklungen, eher, als wüsste Ludwig etwas.
    „Hier ist es“, meinte Gregor und ließ das Motorrad ausrollen. „Mietskasernenviertel Rollberge.“
    Steif kletterte Hendrik aus dem Beiwagen, streckte sich und ließ die Gelenke knacken. Dann folgte er seinem Bruder, der zielstrebig auf eine Toreinfahrt zuschritt.
    Die vordere Fassade sah heruntergekommen, aber erträglich aus. Im ersten Hinterhof befand sich ein Pferdestall, in dem die Tiere eines Fuhrunternehmers untergebracht waren. Im nächsten Hof lagen die Geschäftsräume einer Tischlerei und einer Schlosserei. Lärm und Staub mussten tagsüber eine erhebliche Belastung für die Mieter darstellen. Mit jedem Hinterhof wurden die Gebäude verwahrloster und

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