Dunkle Tage
durchaus dafür in Frage, wenn ich auch kein Motiv erkennen kann und sie, wenigstens im Augenblick, nicht zu meinen Verdächtigen gehört.“
„Und Diana Escher?“ Die Frage rutschte Hendrik heraus, ehe er es verhindern konnte.
„Ich gebe zu, es fällt mir schwer, sie mir als Täterin vorzustellen. Ausschließen kann ich es nicht.“
„Hast du schon nachgeforscht, ob sie tatsächlich im Theater war?“
„Morgen schicke ich Edgar los, sämtliche Alibis auf Herz und Nieren zu überprüfen.“
„Vielleicht schaue ich nach der Vorlesung mal bei Professor Plancks Assistenten vorbei. Wenn sie wirklich im Theater war, kann sie nichts mit dem Mord zu tun haben. Vom Schauspielhaus bis in den Grunewald ist es zu weit, selbst wenn es ihr gelungen sein sollte, sich heimlich in der Pause zu entfernen.“
„Die Tatwaffe, die uns natürlich brennend interessiert, ist vermutlich ein billiges Tranchiermesser, wie es in praktisch jedem Haushalt zu finden ist“, setzte Gregor seine Zusammenfassung fort. „Max Unger hat sich so gut wie nicht gewehrt, die Tat muss ihn vollkommen überrascht haben. Das ist der Stand der Fakten. Reichlich mager.“
„Was hast du sonst Neues erfahren?“
„Eine ganze Menge. Zunächst einmal habe ich mich mit dem Hintergrund des Toten beschäftigt, und ich kann dir versichern, eine Jauchegrube stinkt weniger zum Himmel.“
„Erzähl!“
Gregor hielt inne, maß seinen Bruder mit einem langen Blick und legte dann bedächtig eine Hand unter das Kinn. „Es interessiert dich, nicht wahr?“
„Ich bin nur höflich“, log Hendrik.
„Das musst du nicht. Nicht um meinetwillen.“
Sie sahen sich mit dem unschuldigen Gesichtsausdruck zweier Pokerspieler an. Hendrik gab als Erster auf, weil er das Lachen nicht länger zurückhalten konnte. „Also schön, du Nervensäge, du hast gewonnen! Fürs Protokoll: Ja, ich bin neugierig! Und ich werde deine Arbeit nie wieder anrüchig nennen. Zufrieden?“
Bis auf ein zweimaliges Blinzeln verriet nichts, wie sehr Gregor die Situation genoss. „Max Unger war ein Raffke schlimmster Sorte“, fuhr er dann fort und zog sein Notizbuch zu Rate. „Von seinem Vater erbte er nach einem Studium an der Handelshochschule Köln eine kleine Firma, die Guss- und Schmiedestücke herstellte. 1892 heiratete er eine reiche Kaufmannstochter. Diese Verbindung verschaffte ihm nicht nur Geld, sondern öffnete auch eine Reihe Türen. Mit Hilfe der Mitgift seiner Frau erwarb er Aktienpakete mehrerer Maschinenfabriken, bis er überall die Mehrheit besaß. Aufgrund seiner Schlüsselstellung gelangte er bald in die Vorstände und konnte schließlich eine Fusion größeren Stils durchführen. Er überredete einige Bankhäuser zur Gründung einer Aktiengesellschaft und expandierte weiter.
Max Unger war schneller und rücksichtsloser als die Konkurrenz, wenn auch nicht unbedingt innovativ. Es war Hermann, der eine Studienreise in die USA und nach England unternahm und aufgrund der Werksbesichtigungen seinen Bruder überzeugte, nicht bloß Flickwerk zu betreiben und bruchstückhaft Modernisierungen vorzunehmen, sondern die über ganz Berlin verteilten Fabrikgebäude zu einem neuen Komplex zusammenzufassen, bei dem sich die einzelnen Werkstätten und Lager entlang einer Hauptstraße gruppieren.
Im Humboldthain, wo die Ungers auf die Infrastruktur der abgewanderten Industriebetriebe zurückgreifen konnten, entstand ein modernes Areal, inklusive eines eigenen Hafens, in dem die ankommenden Rohstoffe gelöscht und auf Schienen bis aufs Werkgelände transportiert werden. Allmählich bildete sich der heutige Konzern heraus, der schon vor dem Krieg über ein Nominalkapital von fünf Millionen Reichsmark verfügte.
1914 stellte Max Unger seine Werke auf die Produktion kriegswichtiger Güter um und vermehrte dadurch seinen Reichtum weiter. Er gehörte zu denen, die auch 1918 noch für die Fortführung des Krieges bis zum Sieg waren, weil er daran nicht schlecht verdiente. Heute produziert das Unternehmen alles, was verlangt wird und sich aus Eisen herstellen lässt, von der kleinsten Schraube über Pumpen, Turbinen, Ankerketten bis zum riesigen Dynamo.
Um sich politisch abzusichern, hat er im Laufe der Jahre allen bürgerlichen Parteien quer durch das Spektrum Spenden zukommen lassen; wir sind noch dabei, den Geldfluss zu überprüfen. Weder im geschäftlichen noch im privaten Bereich besaß er irgendwelche Skrupel. Er hat Leute zugrunde gerichtet – es gibt da den Fall eines
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