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Dunkle Tage

Dunkle Tage

Titel: Dunkle Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Kunz
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ausreden. Es war kein müßiges Geschwätz, das Frau Selchow immer wieder vom Fall wegbrachte, sondern der tägliche Kampf ums Überleben.
    „Bei den Broschecks reicht det Jeld manchmal nich’ fors Petroleum. Dann sitzen se im Dunkeln und warten darauf, det Schlafenszeit is’.“ Sie schien von selbst zu bemerken, dass sie den Faden verloren hatte, und kehrte wieder zum Thema zurück. „Wir Nachbarn ham die Möbel bei uns untajestellt, so lange bis die Broschecks ’ne neue Bleibe jefunden hätten, aber irjendwie hat die Barbara et jeschafft, dem ollen Jeizkragen een Vorschuss aus die Tasche zu leiern, und da sind se wieda einjezogen.“
    Diana plauderte noch ein paar Minuten mit Frau Selchow, um nicht unhöflich zu erscheinen, und verabschiedete sich dann. Als sie die Treppe hinunterging, waren ihre Gedanken jedoch nicht mit der Aufklärung des Mordes beschäftigt. Wie hatte die anstehende Entscheidung, den Schutz ihrer Familie zu verlassen, sie nur so belasten können! Wie nichtig waren doch ihre Ängste angesichts der Lebensumstände von Frau Selchow! Wenn selbst die sich nicht unterkriegen ließ und ihren Lebensmut behielt, dann würde sie ja wohl einen Auszug aus der Unger’schen Villa überleben!
10
    Ein halbes Dutzend Kinder spielte „Himmel und Hölle“, zwei Mädchen saßen an die Hauswand gelehnt und machten Schularbeiten, und ein etwa zehnjähriger Junge reparierte sein Fahrrad. Die Hälfte von ihnen war trotz des kalten Wetters barfuß.
    Hendrik stand im Durchgang zum dritten Hinterhof, direkt unter dem Schild Das Spielen auf dem Hofe ist verboten , und beobachtete das Treiben eine Weile, ehe er auf die Kinder zuschlenderte. Erst beim Näherkommen bemerkte er die abgezehrten Gesichter, die hohlen Augen und Anzeichen von Unterernährung. Die meisten hatten rissige Haut, ein Junge mit Froschbauch und Hühnerbrust litt eindeutig an Rachitis.
    Als die Kinder ihn entdeckten, hörten sie wie auf Kommando auf zu spielen und musterten ihn ebenso gründlich, wie er vorher sie gemustert hatte.
    „Ick habe Ihnen jesehen“, sagte eins der Mädchen. „Sie warn jestern bei die Broschecks inne Wohnung. Sie sind vonna Polizei.“
    Die Kinder tuschelten und beobachteten ihn plötzlich mit Interesse. Er war nicht länger nur Störenfried und potenzielle Bedrohung, jetzt umgab ihn eine Aura des Geheimnisvollen.
    Ein vielleicht sechsjähriger Dreikäsehoch baute sich vor ihm auf, die Fäuste in die Hüften gestemmt. „Jagen se een Vabrecha oda wolln se Kommunisten erschießen?“
    „Weder noch. Ich stelle nur langweilige Fragen. Aber vielleicht könnt ihr mir ein paar Auskünfte geben. Erinnert ihr euch an vorgestern Abend?“
    Einige der Kinder nickten, andere hatten ihre Vorsicht ihm gegenüber nicht aufgegeben und verhielten sich abwartend.
    „Ich wüsste gern, ob jemand von euch Herrn und Frau Broscheck gesehen hat. Spät, meine ich. Als es schon dunkel war.“
    „Herr Broscheck kam vonna Arbeet.“
    „Wann war das?“
    „Halb achte.“
    „Ach, richtig! Und dann sind er und seine Frau noch mal weggegangen, stimmt’s?“
    Ein Mädchen mit langen Zöpfen schüttelte den Kopf. „Frau Broscheck war doch jar nich’ da!“
    „Er hat se jesucht“, ergänzte ein Junge, dessen linkes Knie voller Schorf war. „Er hat bei uns jekloppt und jefracht, wo se is’.“
    Hendrik ließ sich seine Überraschung nicht anmerken. „Stimmt ja, das hatte ich vergessen. Wann war das ungefähr?“
    „Um achte.“
    „Er is’ mit Oskars Fahrrad weg“, meinte das Mädchen mit den Zöpfen und deutete auf den Jungen, der mit der Reparatur seines Rades beschäftigt war.
    Hendrik wandte sich ihm zu. „Damit?“, fragte er und deutete auf das Rad.
    „Anton is’ meen Kumpel“, entgegnete Oskar herausfordernd.
    „Ist doch nichts Schlimmes bei, wenn du meine Fragen beantwortest.“
    „Herr Broscheck hat et sich jeliehen“, sagte der Junge widerstrebend. „Er muss noch wat besorjen, hatta jesacht.“
    „Wann hat er das Rad zurückgebracht?“
    „Kurz vor zehne.“
    „Mit dem Platten?“
    Der Junge schüttelte den Kopf. „Is’ vorhin passiert.“
    „War Frau Broscheck bei ihm, als er zurückkam?“
    Oskar zuckte die Achseln.
    „Hat irgendjemand von euch Frau Broscheck zurückkommen sehen?“
    „Jesehen nich’, aba jehört“, piepste ein Mädchen. „Et war schon spät, und ick konnte nich’ schlafen.“
    „Wie spät?“
    „Ick gloobe, halb elwe.“
    „War sie allein?“
    Das Mädchen nickte.
    Hendrik

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