Dunkle Tage
Ivanhoe fiel ihm in die Hände, Tom Sawyer , Bände von Karl May, nicht jedoch Der Graf von Monte Christo .
Jemand betätigte energisch den Klingelzug. Hendrik fluchte lauter und öffnete.
Sein Bruder stand vor der Tür. „Du kannst deine Nachforschungen einstellen“, sagte er ohne jede Einleitung und blieb auffordernd im Treppenhaus stehen.
„Soll das heißen, du weißt, wer der Mörder ist?“ Hendrik schnappte sich einen Mantel und schloss die Wohnungstür ab.
Gregor lehnte am Treppengeländer und blinzelte ihn an. „Neugierig?“, fragte er süffisant.
Hendrik gab ihm einen Rippenstoß. „Idiot! Komm schon!“
Unten wartete Edgar in einem Gefangenentransportwagen. Die Männer begrüßten sich und quetschten sich vorn auf die Sitze. Rumpelnd setzte sich das Fahrzeug in Bewegung.
Die ganze Fahrt über sprach Gregor kaum ein Wort. Selbst Edgar machte keinen Versuch zu einem Schwätzchen und steuerte das Auto verbissen durch den abendlichen Straßenverkehr. Hendrik bemühte sich vergeblich, etwas aus seinem Bruder herauszuholen. „Wo fahren wir überhaupt hin?“
„Warte es ab!“
Missmutig sah er aus dem Fenster und beobachtete die Passanten. Nach kurzer Zeit erkannte er, dass sie nach Neukölln fuhren, und sofort fühlte er sich elend. „Die Broschecks?“
Minuten später hielten sie in der Prinz-Handjery-Straße. Edgar parkte vor dem Haus und blieb im Wagen. Schweigend legten die Brüder Lilienthal die letzten Meter zu ihrem Ziel zurück.
Ein irritierendes Gefühl zwang Hendrik stehen zu bleiben. Irgendetwas war seltsam! Aufmerksam sah er in alle Richtungen.
Die Straße war nur schwach belebt. Eine runzlige Blumenverkäuferin verschnaufte vor dem Fenster einer Pfandleihe. Ein Mann mit Stock führte seinen Hund Gassi. In einer Toreinfahrt standen drei Frauen und hielten einen Schwatz. Ein Arbeiter mit spitzem Bart schritt in soldatischer Haltung die Straße entlang und suchte eine Hausnummer. Ein kleines Mädchen hüpfte an der Hand seiner Mutter die Bordsteinkante auf und ab.
Alles schien in Ordnung, Hendrik konnte beim besten Willen nicht sagen, wodurch sein Unbehagen ausgelöst worden war. Schließlich tat er es mit einem Achselzucken ab. Vielleicht hatte er sich das Ganze nur eingebildet. Aber während sie sich auf den Hofeingang zubewegten, warf er immer wieder einen Blick zurück, bis ihm ein Torbogen die Sicht versperrte.
Die Brüder durchquerten die Hinterhöfe. Auch heute war der Gestank der dort ansässigen Industriebetriebe wieder unerträglich.
Vor der Haustür des Seitenflügels im vierten Hinterhof bequemte sich Gregor endlich zu einer Erklärung. „Heute Mittag bekamen wir per Eilzustellung ein Päckchen zugeschickt, ohne Absender. Darin fand sich, eingewickelt in unseren Fahndungsaufruf aus der Vossischen Zeitung , ein blutiges Tranchiermesser. Die Blutspurenanalyse ergab, dass es sich um die Blutgruppe von Max Unger handelt. Außerdem entdeckte Simon eine Gewebefaser, die mit dem Hemd des Toten identisch ist. Und – Fingerabdrücke.“ Er stieß die Haustür auf, dass sie gegen die Wand krachte.
„Warum bist du so verärgert?“
„Es gefällt mir nicht, dass sich der Fall auf wundersame Weise durch ein zugeschicktes Beweisstück löst. Es gefällt mir noch weniger, dass es einen Unbekannten gibt, der mehr über den Mord weiß und sein eigenes Süppchen kocht. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass jemand mich benutzt. Und ich liebe es nicht, wenn man Verstecken mit mir spielt.“
Sie waren vor der Tür der Broschecks angekommen. Gregor zögerte, dann klopfte er, sehr leise, fast, als wolle er im Voraus für das, was er zu tun beabsichtigte, um Entschuldigung bitten.
Anton öffnete. Die Art, wie sein Blick sich aufhellte, als er Hendrik wahrnahm, schnürte diesem das Herz ab. Jetzt wünschte er, er wäre nicht mitgekommen.
„Dürfen wir hereinkommen? Wir müssen deine Eltern sprechen“, meinte Gregor.
Der Tonfall verriet dem Jungen, dass dies kein freundschaftlicher Besuch war. Furcht wischte den Ausdruck von Offenheit von seinem Gesicht, als er den Weg freigab.
Die beiden Männer zwängten sich durch Lumpen, Abfälle und Geschirr in die Küche. Auf dem Herd stand ein riesiger Waschtopf voll Wasser und Soda, in dem Kleidungsstücke zum Kochen eingeweicht waren. Ein Waschbrett zum Schrubben lag daneben, alles war für das morgige Wäschewaschen vorbereitet.
Curt Broscheck hatte das Klopfen nicht gehört, er saß auf einem Stuhl und war offenbar vor
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