Dunkle Umarmung
den Bergen früher oder später aus«, erklärte Luke. »Ich nehme mich zusammen, weil ich sobald wie möglich mit unserem eigenen Haus beginnen möchte, aber es wird immer schwerer.«
»Mir gefällt nicht, daß du deine Sorgen und deinen Ärger im Alkohol ertränkst, Luke. Kannst du dir nicht eine andere Arbeit suchen?«
»Für uns Leute aus den Bergen gibt es nicht viele Arbeitsstellen.«
»Ich habe nachgedacht, Luke. Vielleicht sollte ich versuchen, Kontakt zu meinem Daddy aufzunehmen. Ihm gehört eine Dampfschiffahrtsgesellschaft, und ich bin sicher, daß er eine gute Stellung für dich hätte.«
»Was für eine Arbeit soll das sein? Soll ich im Maschinenraum eines Dampfers arbeiten und die meiste Zeit von dir getrennt sein?«
»Ich bin sicher, daß er dir eine Büroarbeit geben könnte, Luke.«
»Mir? Büroarbeit? Da käme ich mir vor wie ein Eichhörnchen, das in einen Käfig gesperrt wird. Nein, nein, das ist nichts für mich. Ich muß im Freien sein können oder das aufregende Leben beim Wanderzirkus führen, das einem noch mehr Freiheit gibt.«
»Möchtest du vielleicht wieder zum Zirkus gehen, wenn das Baby geboren ist, Luke?« fragte ich. »Wenn du willst, gehe ich mit.«
»Nee. Das Zirkusleben ist hart, und man ist ständig unterwegs. Ich halte durch, bis wir uns ein eigenes Haus bauen können«, sagte er.
»Ich könnte meinem Daddy schreiben und ihn bitten, mir einen Teil meines Geldes zu schicken. Außerdem habe ich auch noch Geld in einem Treuhänderfonds auf Farthy.«
»Wir wollen dieses Geld nicht haben«, fuhr mich Luke an. Es war das allererste Mal, daß er böse auf mich wurde. Sogar im Dunkeln konnte ich sehen, daß seine Augen entrüstet funkelten. »Ich kann selbst für uns sorgen.«
»Ich wollte damit nicht sagen, daß du das nicht kannst, Luke.«
Er nickte, und es tat ihm sofort leid, daß er seine Stimme gegen mich erhoben hatte.
»Es tut mir leid, daß ich wütend geworden bin, Angel. Ich bin nur einfach so erschöpft.«
»Ma hat recht, Luke. Du solltest dir einen Tag freinehmen.
Selbst, wenn du einmal Freizeit von deiner Arbeit hast, arbeitest du ständig hier. Wir wollen uns am kommenden Sonntag alle fein anziehen und in die Kirche gehen. Bitte, Luke.«
»Also gut, meinetwegen«, sagte er nachgiebig.
Ma war glücklich darüber, daß wir alle in die Kirche gehen wollten, aber als wir am folgenden Sonntag dort erschienen, erkannte ich erst, was Luke gemeint hatte, als er mir erzählt hatte, die Städter sehen auf die Menschen aus den Bergen herab. Sobald wir die Kirche betreten hatten, hätte man die Luft mit einem Messer schneiden können. Sämtliche eleganten Städter drehten sich zu uns um und starrten uns an, und ihre drohenden, finsteren Blicke sagten uns deutlich, daß wir auf den hintersten Plätzen zu bleiben hatten. Ma und Pa Casteel nahmen schleunigst neben anderen Farmern Platz, die ich vom Sehen kannte, aber ich rührte mich nicht von der Stelle.
Luke sah mich neugierig an. Er sah in seinem Anzug mit Krawatte und dem glatt zurückgekämmten dunklen Haar so gut aus, und trotz meiner Schwangerschaft fand ich mich noch genauso hübsch wie diese Frauen und Mädchen aus Winnerrow. Mein Kleid war so teuer, wenn nicht teurer gewesen, als die meisten anderen, und niemand hatte so zartes, weiches Haar wie ich. Durch das Waschen mit Regenwasser war mein Haar noch schöner geworden und glänzte noch mehr als bei meiner Ankunft in den Willies.
Ich sah zwei leere Plätze ganz vorn und zog Luke mit mir. Er blieb einen Moment lang stehen und sah mir dann ins Gesicht.
»Ich dachte, du wolltest, daß ich dem Bürgermeister von Winnerrow bei der erstbesten Gelegenheit meine Meinung sage«, flüsterte ich. Er strahlte mich an.
»Verdammt, das habe ich wirklich gesagt.« Er folgte mir zu den freien Plätzen. Die Leute auf der Kirchenbank wichen zurück, als sei ein kräftiger Windstoß über sie hinweggefegt.
Alle rissen die Augen weit auf, und Neugier mischte sich mit Entrüstung, aber ich hielt ihren Blicken stand, bis sie die Augen niederschlugen. Der Geistliche trat auf die Kanzel und hielt eine schöne Predigt über brüderliche Liebe.
Hinterher kam Ma zu mir und sagte: »Ich hatte recht, als ich dich das erste Mal gesehen habe, Angel. Du hast den Mut einer Casteel. Ich bin stolz auf dich.«
»Danke, Ma.«
Am Sonntag nach dem Kirchgang versammelten sich die Leute aus den Bergen zu einem Fest. Sie spielten auf ihren Instrumenten und tanzten und aßen gemeinsam. Ich half
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