Dunkle Verlockung (German Edition)
sie überlistet hatte. Kein Wunder, dass sie an diesem Morgen so viele Leute mit einem heimlichen Lächeln auf den Lippen angesehen hatten. Kein süffisantes Grinsen, sondern ein Lächeln, in dem echte Freude lag.
Genau wie in den Gesichtern, die sie nun vor sich sah.
Dass sie sich so für sie freuten, zerstörte etwas in ihr – eine Art spröden, harten Schutzschild. »Ich habe Galen geküsst«, gab sie zu, denn sie konnte die Kinder nicht anlügen und zugleich erwarten, ihr Vertrauen nicht zu verlieren.
Azec und Saraia sprachen beide gleichzeitig, ihre Stimmen verhedderten sich in verspielter Unschuld. »Hat es Ihnen gefallen?«
»Ja.« So sehr, dass sie die leidenschaftliche, fordernde Fremde, in die sie sich verwandelt hatte, nicht mehr wiedererkannte.
Galen musste sich ein Lächeln primitiver Befriedigung verkneifen, als er auf seinem Weg durch das Handwerkszentrum der Zufluchtsstätte mehr als einen neugierigen Blick in seine Richtung auffing. Was Jessamy betraf, konnte nun niemand mehr an seinen Ansprüchen zweifeln.
Illium klopfte an die Tür des Hauses, zu dem er ihn geführt hatte. Als sein Blick auf Galen fiel, verengten sich seine tiefgoldenen Augen. »Es könnte gesünder für dich sein, nicht ganz so selbstzufrieden auszusehen, wenn du Jessamy das nächste Mal triffst.«
Galen zeigte die Zähne. »Ein Mann hat das Recht, sein Werben öffentlich zu bekunden.« Und deutlich zu machen, dass jeder, der ihm in die Quere kam, ausgeweidet werden würde.
Der blaugeflügelte Engel schüttelte den Kopf. »Barbar, es gibt einen Unterschied zwischen ›öffentlich bekunden‹ und sich mit einer Keule verständlich machen.«
In diesem Moment hörten sie aus dem Inneren des Hauses die leisen Worte: »Es ist offen.«
Sie folgten einem verspielten Windhauch in den Flur und gelangten auf einen geländerlosen Balkon, der über die Schlucht hinausragte und einfach so im Azurblau des Himmels zu hängen schien. Ein Engel saß mit dem Rücken zum Haus, seine Hände und sein Gesicht waren mit roter, blauer und gelber Farbe verschmiert, und auf der Staffelei vor ihm stand eine farbendurchtränkte Leinwand.
Er schien aus Scherben zerbrochenen Lichts zu bestehen, seine Flügel waren diamanthell, und seine Haare hatten den gleichen blassen und doch seltsam überwältigenden Farbton. Als er den Kopf wandte, um ihnen über die Schulter hinweg einen Blick zuzuwerfen, sah Galen, dass seine Augen von den schwarzen Pupillen nach außen zu Scherben aus kristallklarem Blau und Grün zu zersplittern schienen. Er hätte eine Eisskulptur sein können, hätte in seiner Hautfarbe nicht eine goldene Wärme gelegen, die ihn wahrscheinlich bald zu einem Objekt der Begierde machen würde – aber jetzt war er noch sehr jung.
Als der Engel sah, dass Illium nicht allein war, erhob er sich und stellte sich respektvoll neben seiner Leinwand auf. Die blaue Farbe auf seiner Wange erinnerte an eine primitive Tätowierung.
»Galen, das ist Aodhan. Er dient Raphael.« Illium führte die Vorstellung mit einer höflichen Anmut aus, wie sie im Palast von Neha, der Königin der Gifte, angemessen gewesen wäre. »Aodhan«, fuhr der Engel fort, »darf ich vorstellen, das ist Raphaels neuer Waffenmeister.«
»Sir.«
Raphaels Gefolgsleute passten in kein vorhersagbares Schema, dachte Galen … bis auf eines. »Dein Quartier ist sehr schön gelegen«, sagte er, während er über die stille, unerbittliche Treue nachdachte, die er sowohl bei Dmitri als auch bei Illium gespürt hatte. Ein Erzengel, der in wirklich starken Männern solche Loyalität hervorbringen konnte, war in der Tat eine politische Kraft, die Alexander fürchten musste.
Aodhans Flügel raschelten, als er sich neben Galen an den Rand des Balkons stellte. »Das Licht«, sagte er mit einem schüchternen Lächeln in den Augen, »ist perfekt zum Malen.«
Schüchtern, dachte Galen, aber auch intelligent und, nach seinen Bewegungen zu urteilen, auch hochbegabt für bestimmte Kampftechniken. »Schwert«, murmelte er. »Ein Rapier?« Die zierliche, aber tödliche Klinge würde zu den anmutigen Schritten des Engels passen.
Aber Aodhan schüttelte den Kopf. »Zu leicht für mich. Ich ziehe eine solidere Klinge vor.« Er strich sich einige Haarsträhnen zurück, wobei er auf seiner Stirn und in den Haaren einen roten Streifen hinterließ. Die Farbe glitzerte.
»Du bist heute Morgen in die Zufluchtsstätte zurückgekehrt?« Er würde dem jungen Engel Zeit geben, sich auszuruhen, und danach
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