Dunkle Verlockung (German Edition)
kleinen Engel.
Schnell und düster senkte sich das Verstehen auf Jessamys Gesicht und ließ ihre tiefbraunen Augen noch finsterer aussehen. »Ja, natürlich. Ich würde nie ein Kind in Gefahr bringen.«
»Und Erwachsene sind Freiwild?«
Sie hielt die Luft an und ballte die Hand vor ihrem Bauch zur Faust. »Du glaubs t wirklich, dass es einen weiteren Ansc hlag auf mein Leben g eben wird?« Es war als Frage formuliert, doch er wusste, dass sie die Antwort bereits kannte. Ihre nächsten Worte bestätigten seine Vermutung. »In der Bibliothek gibt es ein kleines Zimmer mit einem Bett. Dort kann ich bleiben.«
Er nickte ihr knapp zu. »Gut.«
Galens sofortige Zustimmung kam Jessamy verdächtig vor, aber er drängte sie nicht, ihre Meinung zu ändern, sondern begleitete sie als stummer, kampfbereiter Schatten zur Bibliothek. Sein Blick nahm jedes winzige Detail der Umgebung in sich auf, bis sie seine beschützende Wachsamkeit regelrecht auf ihrer Haut zu spüren glaubte.
»Siehst du?«, fragte sie, als sie das Zimmer in der Bibliothek erreichten. Ihre Brust war wie zugeschnürt, als hätte jemand ihren Atem gestohlen. »Keine großen Fenster und nur eine einzige Tür.« Wenn sie diese Tür von innen verriegelte, würde niemand zu ihr vordringen können.
Nachdem er die Wände auf Dicke und Stabilität überprüft hatte, nickte er stumm und gestattete ihr, die Tür hinter sich zu schließen. Zitternd ließ sie sich auf dem schmalen Bett nieder, in dem sich sonst ihre Schüler ausruhen konnten. Es mussten die Nachwirkungen vom Schreck des Angriffs sein, dachte sie. Sie war zu alt und zu vernünftig, um mit dieser seltsamen Mischung aus Angst und freudiger Erregung auf einen Mann zu reagieren – noch dazu auf einen Mann, der sie erst vor Kurzem beinahe blind vor Wut gemacht hatte.
Erleichtert über diese Erklärung, nahm sie ein Buch von dem Tisch neben dem Bett und schlug die erste Seite auf. Schon im nächsten Augenblick hörte sie Galens Stiefel über den Boden schleifen, als dieser draußen seine Position veränderte, und erst mit Verspätung wurde ihr klar, dass er die ganze Nacht über vor ihrer Tür bleiben würde. Das nämlich war die einzige Möglichkeit, jemanden in diesem Zimmer zu beschützen – die Bibliothek hatte zu viele Aus- und Eingänge, um an irgendeinem anderen Punkt Wache halten zu können.
Sie wusste, dass es ihm nichts ausmachen würde. Er war ein Engel und mächtig für sein Alter. Bei manchen Engeln nahm die Macht nach Erreichen der Volljährigkeit überhaupt nicht mehr zu, während sie bei anderen, wie bei Jessamy, schrittweise zunahm. Galen hingegen gehörte zu denen, deren Macht sich in riesigen Sprüngen steigerte – was einer der Gründe war, warum er einen so guten Kandidaten als Waffenmeister eines Erzengels abgab. Eine Nacht auf den Beinen und ohne Schlaf würde ihm nichts ausmachen. Und doch regten sich in ihr hartnäckige Schuldgefühle. Er hatte ihr das Leben gerettet, hatte sein Blut für sie vergossen. Und sie stellte sich so kindisch an, wenn sie vorübergehend bei ihm wohnen sollte, wo er sich besser erholen könnte. Aber sie hatte noch nie in irgendeiner Form mit einem Mann zusammengelebt.
Nach mehr als zwei Millennien hatte sie noch nie einen Mann so nah an sich herangelassen.
Anfangs war es keine bewusste Entscheidung gewesen, sondern einfach so geschehen. Wegen ihres missgestalteten Flügels war sie schüchtern und unsicher gewesen und hatte sich deshalb in der Bibliothek versteckt. Später, als sie genug Vertrauen in ihre Fähigkeiten gewonnen hatte, um sicherer aufzutreten, waren Männer auf sie zugekommen. Natürlich nicht viele, aber genug, dass sie mehr als einen zur Auswahl gehabt hatte.
Damals war sie jung und trotz ihres Auftretens noch immer unerträglich empfindlich wegen ihres Flügels. Sie nahm an, die Männer wollten aus Mitleid mit ihr ausgehen und würden die Rolle des freundlichen Verehrers nur so lange spielen, bis sie ihr Gewissen beruhigt hätten. Also wies sie die Verehrer ab, bevor sie selbst abgewiesen werden konnte.
Zumindest bei einem der Männer, die sich um sie bemühten, behielt sie mit ihrer Vermutung über seine Motive recht. Bei den anderen … bestand die Möglichkeit, dass sie sich geirrt hatte. Aber eines war sicher: Nach kurzer Zeit sprach sich herum, dass Jessamy am liebsten in Ruhe gelassen werden wollte. Man sah in ihr eine Gelehrte und eine Lehrerin, aber alle hatten vergessen, dass sie außerdem auch eine Frau war, die hoffte
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