Dunkle Wasser
zu sehen oder zu hören.
Eifrig machte ich mich daran, mein wirres Haar mit der größtmöglichen Geschwindigkeit in Ordnung zu bringen.
Kurz darauf stand Kitty unter der Dusche und sang lauthals Country-Lieder.
Sie trat aus der Dusche, trocknete sich mit einem der flauschigen, rosafarbenen Handtücher ab und sah mich erzürnt an. »Kommt mir nicht noch mal vor, was ich grad’ im Klo gesehen hab’, verstanden?«
»Es tut mir leid. Aber ich dachte, wenn ich das Wasser abziehe, wecke ich dich und deinen Mann auf. Morgen früh gehe ich ins untere Badezimmer.«
»Das rat’ ich dir auch«, brummelte Kitty. »Also beeil dich, und zieh eines deiner hübschen Kleider an, die Cal dir besorgt hat. Heut nachmittag werden Cal und ich dir Atlanta zeigen, auch meinen Laden. Kannst mal sehen, wie schick der ist und wie mich die Mädels dort mögen. Morgen gehen wir in die Kirche, und am Montag gehst du dann in die Schule, wie’s sich gehört. Laß sogar meinen Töpferkurs sausen, dir zuliebe, vergiß das nicht. Könnt’ ja an diesem Tag viel verdienen, ich tu’s aber nicht, will dir alles ordentlich zeigen.«
Wieder ging ich daran, meine Haare in Ordnung zu bringen, während Kitty sich schminkte und ganz in Rosa kleidete. Sie fuhr sich mit einem komisch aussehenden Gerät aus Draht in die Haare, dann wandte sie sich strahlend zu mir. »Was sagst du?«
»Du siehst wunderschön aus«, sagte ich ehrlich. »Ich habe noch nie jemanden gesehen, der so schön ist wie du.«
Kittys blasse Augen glitzerten. Ihr breites Lächeln zeigte ihre großen, weißen und ebenmäßigen Zähne. »Würdest nicht glauben, daß ich fünfunddreißig bin, was?«
»Nein«, hauchte ich. Kaum zu glauben, sie war älter als Sarah, und dabei wirkte Kitty viel jünger als sie.
»Cal ist erst fünfundzwanzig. Daß ich zehn Jahre älter als mein Mann bin, beunruhigt mich etwas. Hab’ einen netten Mann erwischt, einen wirklich netten Mann, auch wenn er jünger ist. Aber verrat’ niemandem mein Alter, hörst du mich?«
»Es würde mir sowieso keiner glauben.«
»Nett von dir, das zu sagen«, bemerkte Kitty mit veränderter und sanfter Stimme. Sie trat auf mich zu, umarmte mich kurz und gab mir einen flüchtigen Kuß auf die Wange. »Wollt’
nicht, daß deine Haut so rot und verbrannt aussieht. Tut’s wirklich weh?«
Ich nickte, und Kitty kramte eine Salbe hervor, die sie mit großer Sorgfalt auftrug. »Ich übertreib’s wohl manchmal, will nicht, daß du mich nicht mögen tust. Ich wünsch’ mir mehr als alles andere auf der Welt, daß du mich wie eine Mutter liebst.
Schätzchen, es tut mir leid. Aber du mußt zugeben, daß wir das ganze Ungeziefer, das wie Moos an einem verfaulten Baum an dir geklebt ist, abgetötet haben.«
Sie hatte genau die Worte gesagt, die ich insgeheim inständig erhofft hatte. Ich umarmte sie impulsiv und küßte sie vorsichtig auf die Wangen, um ihr makelloses Make-up nicht zu verderben. »Und du riechst so gut«, sagte ich mit Tränen der Erleichterung in der Stimme.
»Du und ich, wir werden uns beide prima verstehen, ganz prima«, sagte Kitty begeistert und lächelte glücklich. Um ihren Worten Nachdruck zu geben, nahm sie mir den Kamm aus der Hand und fing an, meine verfilzten Haare zu frisieren. Sie ging so vorsichtig und geschickt zu Werke, daß es bald locker herabfiel. Danach nahm sie eine Bürste, die ich, wie sie sagte, von jetzt an benutzen sollte, und mit ein paar geheimnisvollen Handgriffen hatte sie mein Haar hergerichtet. Dabei tauchte sie die Bürste ins Wasser und drehte mein Haar über ihre Finger.
Als ich mich schließlich wieder im Spiegel betrachtete, hatte ich eine wunderschöne Frisur mit glänzenden dunklen Locken, die ein zerschundenes Gesicht mit zwei riesigen blauen Augen umrahmten.
»Danke«, flüsterte ich ihr dankbar zu, weil sie jetzt so gut zu mir war. Ich war bereit, die Folter der gestrigen Nacht zu vergessen.
»Okay. Laß uns jetzt in die Küche gehen und dann die Besichtigung machen, die ich dir versprochen hab’. Wir müssen uns beeilen – es steht noch viel an.«
Gemeinsam gingen wir die Treppe hinunter. Cal war schon da. »Das Kaffeewasser kocht bereits, und heute mache ich das Frühstück«, begrüßte uns Cal munter. Er war gerade dabei, Speck und Eier in verschiedenen Pfannen zu braten, daher konnte er sich nicht nach uns umdrehen. »Guten Morgen, Heaven«, sagte er dann und legte vorsichtig Speck auf ein Papiertuch und übergoß die Spiegeleier mit Fett. »Magst du
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