Dunkle Wasser
war.
Niemand hatte mich je so liebevoll angesehen wie er – und ich hatte mich so lange nach Liebe gesehnt. Warum fürchtete ich mich vor ihm?
Er tröstete mich, aber zugleich jagte er mir Angst ein; ich fühlte mich wohl in seiner Gegenwart, aber zugleich hatte ich ein schlechtes Gewissen. Ich schuldete ihm viel, sehr viel. Ich wußte überhaupt nicht, wie ich mich ihm gegenüber verhalten sollte. Er sah mich mit eigenartig glasigen Augen an, so als hätte ich unwissentlich an etwas in ihm appelliert, vielleicht weil ich so passiv in seinen Armen lag. Verwundert spürte ich seine Lippen auf meinem Hals. Zitternd wollte ich ihn abhalten, aber ich fürchtete, seine Liebe zu verlieren.
Stieß ich ihn zurück, blieb mir niemand mehr, der mich vor Kitty schützte oder der sich für mich einsetzte… Und so ließ ich ihn gewähren.
Nachdem ich geweint hatte, war ich in einen Dämmerzustand abgeglitten, der mich festhielt und mich wehrlos machte… Es konnte doch nichts Schlimmes an seinen Zärtlichkeiten sein, wenn seine Lippen mich leicht berührten, um mich nicht mit zu stürmischen Annäherungsversuchen zu erschrecken, und dann blickte ich ihm ins Gesicht.
Er weinte: »Ich wünschte mir, du wärst nicht nur ein schönes Kind, sondern schon eine erwachsene Frau.«
Die Tränen in seinen Augen rührten mich. Er war, ebenso hilflos wie ich, verstrickt in Kittys Netz. Er hatte Schulden bei ihr und konnte nicht einfach verschwinden und Jahre der Arbeit so einfach wegwerfen. Und ich konnte ihn nicht einfach wegstoßen und ihm ins Gesicht schlagen; er war der einzige Mann, der gut zu mir gewesen war, und er hatte mir das Leben in Candlewick erträglicher gemacht.
Ich flüsterte »Nein, nein«, tat aber nichts, ihn davon abzuhalten, mich zu küssen und zu streicheln. Ich bebte am ganzen Körper, als blicke Gott auf mich herab und verdamme mich in die ewige Hölle – so wie Reverend Wise es immer gepredigt hatte und wie es Kitty mir jeden Tag vorhielt.
Erstaunt fühlte ich, wie er sein Gesicht an meine Brust drückte und schluchzend in meinen Armen lag, während seine Tränen wie warmer Regen herabrannen.
Schuld und Scham überwältigten mich. War ich wirklich von Natur aus böse? Wie war ich nur in diese Situation geraten?
Ich wollte alles hinausschreien, was Kitty mir angetan hatte, daß sie die Puppe meiner Mutter verbrannt hatte. Aber vielleicht fand er es dumm und banal, einer verbrannten Puppe nachzuweinen. Und was bedeuteten Ohrfeigen, wenn ich schon so viel ausgehalten hatte?
Rette mich, rette mich, schrie ich innerlich.
Bitte, tu nichts, was mir den Rest meines Stolzes nimmt, bitte, bitte! Aber mein Körper ließ mich im Stich – er genoß, was Cal mit mir machte. Es war schön, von ihm gestreichelt, in seinen Armen geschaukelt und gedrückt zu werden. Ich kam mir dabei abwechselnd als etwas Kostbares und Wertvolles oder als etwas Niederträchtiges und Gemeines vor. Mein ganzes Leben lang hatte ich gierig darauf gewartet, daß mich Hände zärtlich berührten. Immer hatte ich darauf gehofft, daß mich mein Vater lieben würde.
»Ich liebe dich«, flüsterte er und küßte mich wieder auf die Lippen; ich fragte nicht danach, ob als Tochter oder ob er mich auf eine andere Art und Weise liebte – ich wollte es nicht wissen. Nicht in diesem Augenblick, wo ich das Gefühl hatte, etwas wert zu sein, weil ein so guter Mann wie dieser mich lieben und begehren konnte – obwohl mich etwas in meinem Innern warnte.
»Wie süß und weich du bist«, murmelte er und küßte meine entblößten Brüste.
Ich schloß die Augen und wollte nicht wahrhaben, was ich da zuließ. Er würde mich jetzt wohl nie mehr mit Kitty allein lassen. Ihm würden jetzt Mittel und Wege einfallen, mich zu retten und Kitty dazu zu zwingen, mir zu sagen, wo ich Keith und Unsere-Jane finden könnte.
Gott sei Dank schien es ihm zu genügen, meine Schenkel, meinen Bauch und meine Hinterbacken zu streicheln.
Vielleicht weil ich angefangen hatte zu reden, um ihn daran zu erinnern, wer ich war. In einem Wortschwall erzählte ich ihm alles über die Puppe, wie sie verbrannt worden war und wie Kitty mich dazu gezwungen hatte, indem sie behauptete, daß sie wüßte, wo Keith und Unsere-Jane wären. »Glaubst du wirklich, daß sie es weiß?« fragte ich ihn.
»Ich bin mir darüber nicht im klaren, was sie alles weiß«, sagte er mit Bitterkeit. Er war nun wieder bei Sinnen und der seltsame Glanz in seinen Augen war verschwunden. »Ich glaube, das
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