Dunkle Wasser
herangewachsen war, mit langen, schwarzen Haaren und einer wohlgeformten Figur, die manchem Mann den Kopf verdrehen würde. Daß Fanny dies auch ohne Gewissensbisse ausnützen würde, war mir immer schon klargewesen. Aber ich war gekränkt, daß Fanny mich nicht ins Haus einließ und keinerlei Interesse zeigte, wo ich gewesen und wie es mir ergangen war.
»Hast du Tom gesehen?«
»Will ihn nicht sehen.«
Ich zuckte betroffen zusammen. »Fanny Casteel, ich habe dir immer wieder geschrieben! Hast du meine Briefe nicht bekommen?« fragte ich mit Nachdruck und hielt die Tür fest, damit Fanny sie nicht zuschlagen konnte. »Verdammt noch mal, Fanny! Was bist du überhaupt für ein Mensch? Wenn man schon so aufmerksam ist, dir zu schreiben, dann könntest du wenigstens die Briefe beantworten – es sei denn, dir ist alles vollkommen schnuppe!«
»Da hast du den Nagel auf den Kopf getroffen«, gab Fanny zurück.
»Moment mal, Fanny! Du kannst mir nicht ganz einfach die Tür vor der Nase zuschlagen! Ich lass’ es nicht zu!«
»Du hast mir nie geschrieben, kein einziges Mal!« platzte sie raus und blickte sofort ängstlich über die Schulter. Wieder senkte sie die Stimme. »Heaven, du mußt jetzt gehen.« In ihren Augen lag ein gehetzter, furchtsamer Blick. »Sie sind oben und schlafen. Der Reverend und seine Frau mögen es nicht, wenn sie daran erinnert werden, wer ich bin. Haben mich gewarnt, daß sie’s nicht dulden, wenn ich mit dir oder mit einem anderen Casteel rede. Hab’ nie wieder was von Vater gehört, seitdem ich hier bin.« Sie wischte sich eine Träne ab, die aus einem Augenwinkel hervorquoll und wie ein Tautropfen ihre Wange benetzte. »Hab’ früher gemeint, Vater liebt mich; scheint aber nicht so zu sein.« Wieder bildete sich eine Träne, aber diesmal wischte Fanny sie nicht fort. Sie sah mir ins Gesicht, bevor ihre vollen, roten Lippen sich schmälerten.
»Muß jetzt gehen. Will nicht, daß sie aufstehen und mich beschimpfen, weil ich mich mit dir unterhalten hab. Mach dich bloß auf ‘n Weg, Heaven Leigh. Will dich nicht kennen; wünscht’ mir, ich hätt’ dich nie gesehen; kann mich überhaupt nicht an dich und an die alten Tage erinnern, wo wir als Kinder in den Bergen gelebt haben. Ich weiß nur, daß wir hungrig waren, gefroren haben und hinten und vorn nichts gereicht hat.«
Schnell stellte ich meinen Fuß in die Tür, bevor Fanny sie mit Wucht zuschlug und ich die Tür nicht mehr aufhalten konnte.
»Jetzt wart mal einen Augenblick, Fanny Louisa Casteel! Ich habe über zwei Jahre lang Tag und Nacht an dich gedacht. Du kannst mich nicht so wegschicken! Ich will wissen, wie es dir geht, ob man dich gut behandelt. Ich mag dich, Fanny, auch wenn du mich nicht magst. Ich erinnere mich noch an die guten Zeiten, die wir in den Bergen hatten. Die schlechten versuche ich zu vergessen. Ich weiß noch, wie wir uns aneinander gekuschelt haben, um uns gegenseitig zu wärmen.
Ich liebe dich, auch wenn du immer schon eine Pest warst.«
»Verschwinde von dieser Veranda«, schluchzte Fanny jetzt laut. »Kann nichts für dich tun, überhaupt nichts.«
Mit brutaler Gewalt stieß sie meinen Fuß weg und schlug die Tür zu. Sie sperrte von innen ab. Ich stand allein auf der Veranda.
Fast blind vor Tränen stolperte ich die Treppe hinunter.
Logan nahm mich in seine Arme. »Zum Teufel mit ihr, daß sie so mit dir geredet hat«, versuchte er mich zu trösten.
Ich riß mich aus seiner Umarmung los. Fannys Gleichgültigkeit hatte mich so getroffen, daß ich am liebsten laut aufgeschrien hätte. Warum brachte man Leuten so viel Liebe entgegen, die einen ja doch nur wegstießen, wenn man nicht mehr gebraucht wurde?
Was kümmerte es mich eigentlich, wenn ich Fanny verlor?
Sie war doch nie eine gute Schwester gewesen… Warum tat es dann so weh? »Geh weg, Logan« schrie ich und schlug mit Fäusten auf ihn ein, als er mich umarmen wollte. »Ich brauche dich nicht – ich brauche überhaupt niemanden!«
Ich wandte mich von ihm ab, aber er packte mich am Handgelenk und legte seine starken Arme um mich. »Heaven«, rief er. »Was ist denn los? Was habe ich dir getan?«
»Laß mich«, flehte ich nur mehr schwach.
»Hör mal zu«, bat er inständig, »du läßt deine Wut an mir aus, weil Fanny dich gekränkt hat. Sie war schon immer eine boshafte Schwester, nicht wahr? Ich habe es schon auf dem ganzen Weg hierher geahnt, daß sie sich so verhalten würde.
Es tut mir sehr leid, daß es dich so verletzt hat,
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