Dunkle Wasser
daran, Thomas Luke.«
»Und denk du auch daran«, sagte er rauh und sah mich streng an, »und hör auf in der Nacht zu weinen, weil du anders sein willst. Gefällst mir so, wie du bist.« Seine grünen Augen glänzten sanft im Schatten des Kiefernwaldes. »Du bist meine schöne, dunkelhaarige Schwester, die mir zehnmal wichtiger ist als meine richtige Schwester Fanny, die sich keinen Deut um andere kümmert. Sie liebt mich nicht wie du, und ich kann sie nicht so lieben wie dich, Heavenly. Du und ich, wir gehören zusammen. Du weißt schon, wie sie’s in den Büchern schreiben; durch dick und dünn, durch Sturm und Wind – und durch die dunkle Nacht.«
»Das sagt man doch von der Post, du Dummer«, erklärte ich ihm lachend. Tränen standen mir in den Augen, ich nahm seine Hand und drückte sie. »Laß uns einen Eid schwören, daß wir niemals auseinandergehen werden, so wahr uns Gott helfe.«
Er nahm mich zart in seine Arme, als wäre ich aus zerbrechlichem Glas. »Du wirst eines Tages heiraten, du behauptest zwar immer das Gegenteil, aber Logan Stonewell macht schon Stielaugen nach dir«, sagte er mit belegter Stimme.
»Wie kann er mich lieben, wenn er mich nicht einmal kennt!«
Er schmiegte seinen Kopf an mein Haar. »Er braucht dich nur anzusehen – dein Gesicht, deine Haare –, das genügt. Alles, was du bist, steht dir ins Gesicht geschrieben und leuchtet aus deinen Augen.«
Ich löste mich aus seiner Umarmung und wischte mir die Tränen weg. »Merkwürdig, Vater sieht nie, was du siehst!«
»Warum läßt du es zu, daß er dich so verletzt?«
»Ach, Tom…!« schluchzte ich und fiel ihm in die Arme.
»Wie soll ich jemals meiner sicher sein, wenn mein eigener Vater mich nicht ansehen kann? Er muß etwas Böses in mir sehen, daß er meinen Anblick so verabscheut.«
Er streichelte mir über die Haare und über den Rücken, und die Tränen standen ihm in den Augen, als wäre mein Schmerz auch seiner. »Eines Tages wird Vater entdecken, daß er dich gar nicht haßt. Ich bin sicher, daß dieser Tag bald kommen wird.«
Ich riß mich los.
»Nein, diesen Tag wird es nie geben! Das weißt du genausogut wie ich. Vater meint, daß ich seinen Engel getötet habe, als ich auf die Welt gekommen bin. Das wird er mir nicht in tausend Jahren verzeihen! Und wenn du meine Meinung hören willst, ich glaube, daß Mutter verdammtes Glück gehabt hat, ihm zu entkommen! Früher oder später wäre er genauso gemein zu ihr gewesen, wie er jetzt zu Sarah ist!«
Wir waren beide erschüttert von diesen offenen Worten. Er zog mich wieder an sich und lächelte zaghaft, aber er sah traurig dabei aus. »Vater liebt Mutter nicht. Er ist unglücklich mit ihr. Alle sagen, er hat deine Mutter geliebt. Er hat meine bloß geheiratet, weil sie schwanger war und er einmal in seinem Leben das Richtige tun wollte.«
»Aber nur, weil ihn Großmutter dazu gezwungen hat«, sagte ich bitter.
»Niemand kann Vater zu etwas zwingen, wenn er es nicht tun will, vergiß das nicht!«
»Vergess’ ich schon nicht«, sagte ich und dachte daran, wie Vater sich immer weigerte, mich anzusehen.
Wieder war es Montag, und wir saßen alle in der Schule. Miß Deale versuchte uns nahezubringen, daß das Lesen von Shakespeares Dramen und Sonetten ein Vergnügen sei; ich konnte es aber nicht erwarten, ins Aufgabenzimmer zu kommen.
»Heaven, hörst du zu oder träumst du?« fragte mich Miß Deale, und ihre wasserblauen Augen waren auf mich gerichtet.
»Ich höre zu!«
»Und welches Gedicht habe ich gerade besprochen?«
Ich konnte mich um nichts in der Welt auch nur an ein einziges Wort, das Miß Deale in der letzten halben Stunde gesagt hatte, erinnern. Das war sonst nicht meine Art; ich hätte wirklich aufhören sollen, dauernd an diesen Logan zu denken.
Wenn er im Aufgabenzimmer immer an meiner rechten Seite saß, überkamen mich jedesmal, wenn sich unsere Augen trafen, die eigenartigsten Gefühle. Ich mußte mich zusammenreißen, um nicht in seine Richtung zu schauen, denn jedesmal, wenn ich es tat, starrte er mich gerade an.
Logan lächelte, bevor er mir zuflüsterte: »Wer war so genial gewesen und hat dir den Namen Heaven gegeben? Ich habe noch nie jemanden mit diesem Namen kennengelernt.«
Ich mußte zweimal schlucken, bevor ich ihm antworten konnte. »Die erste Frau meines Vaters gab mir den Namen gleich nach meiner Geburt, und ich heiße auch noch Leigh, weil das ihr Vorname war. Großmutter hat mir erzählt, daß sie mir einen erhebenden
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