Dunkle Wasser
prima.«
»Ohne Geschlecht? Heaven, jedes Baby gehört zu dem einen oder dem anderen Geschlecht.«
»Das habe ich auch gedacht, bis ich bei der Geburt dieses Babys geholfen habe. Bitte erzählen Sie es niemandem, es würde Sarah verletzen – aber dieses Baby hatte keine Geschlechtsteile.«
Sie erblaßte. »Oh… Entschuldige, daß ich so taktlos war. Ich hatte zwar einige Gerüchte darüber gehört, aber ich schenke dem, was ich so höre, niemals Glauben. – Natürlich gibt es Anomalien in der Natur. Da aber die Kinder deines Vaters alle so schön sind, bin ich natürlich davon ausgegangen, daß deine Mutter wieder ein wohlgeratenes Kind bekäme.«
»Miß Deale, es wundert mich, daß Sie noch nicht richtig über mich Bescheid wissen. Sarah ist nicht meine Mutter. Mein Vater hat zweimal geheiratet. Ich bin das Kind seiner ersten Frau.«
»Ich weiß«, sagte sie ganz leise. »Ich habe von der ersten Frau deines Vaters gehört. Sie soll sehr schön gewesen sein und sehr jung, als sie starb.« Sie errötete und fingerte an unsichtbaren Fusseln auf ihrem teuren Strickkostüm herum.
»Ich nehme an, daß du deine Stiefmutter sehr liebst und so tust, als wäre sie deine richtige Mutter.«
»Früher schon«, lächelte ich. »Ich muß jetzt gehen, sonst begleitet Logan noch ein anderes Mädchen nach Hause.
Danke, Miß Deale, daß Sie so eine gute Freundin sind; und daß Sie uns durch alle Klassen begleitet haben; daß Sie Tom und mir das Gefühl gegeben haben, etwas wert zu sein. Erst heute morgen haben Tom und ich darüber gesprochen, daß die Schule ohne Miß Deale doch langweilig wäre.«
Sie berührte meine Hand, lachte leise und hatte dabei Tränen in den Augen. »Du wirst von Mal zu Mal schöner, Heaven –
aber vergiß nicht, dir ein Ziel zu setzen. Und gib es dann nicht gleich auf, nur um wie alle anderen Mädchen überstürzt eine Ehe einzugehen.«
»Sie brauchen keine Angst zu haben, daß ich mein Ziel aufgebe!« rief ich ihr zu und eilte zur Tür. »Der Tag ist noch lange nicht da, an dem ich dreißig bin, in der Küche eines Mannes stehe, für ihn koche und wasche und jedes Jahr ein Baby von ihm bekomme!« Und schon rannte ich aus dem Klassenzimmer zu der Stelle, wo ich hoffte, Logan anzutreffen.
An diesem Tag war es im Tal sonnig und mild mit großen dicken Wolken am Himmel, die sich in Richtung London, Paris und Rom wälzten, als ich auf eine Gruppe von sechs oder sieben Jungen prallte, die wie zu einem Knäuel zusammengeballt standen und johlten.
»Bist eine Memme aus der Stadt!« schrie ein Grobian namens Randy Mark einem völlig verdreckten Jungen zu, der sich zu meinem Entsetzen als Logan entpuppte! Hatten sie ihn also doch erwischt – und Logan hatte immer behauptet, sie würden es nie schaffen. Er lag am Boden und rang mit einem gleichaltrigen Jungen. Logans Hemdsärmel war schon zerrissen, sein Kinn rot und geschwollen, die Haare fielen ihm ins Gesicht.
»Heaven Casteel ist doch nur ‘ne Nutte und treibt’s wie ihre Schwester – auch wenn sie uns nicht ranläßt, aber bei dir tut sie’s.«
»Tut sie nicht!« brüllte Logan. Sein Gesicht war rot angelaufen, und er war so empört, daß er vor Wut zu kochen schien. Dann schnappte er Randys Bein und drehte es rücksichtslos herum. »Nimm sofort alles zurück, was du über Heaven gesagt hast! Sie ist das verehrungswürdigste und anständigste Mädchen, das ich je in meinem Leben getroffen habe!«
»Weil du ‘nen faulen Apfel nicht von ‘nem guten unterscheiden kannst.«
Wer hatte damit angefangen, und was war bereits geschehen?
Ich sah mich um und entdeckte ein Mädchen aus meiner Klasse, die mich immer wegen meiner schäbigen Kleider auslachte. Jetzt grinste sie verschlagen. Bereit mitzukämpfen, lief ich auf Tom zu, der neben den Kämpfenden hockte.
»Tom, warum hilfst du Logan nicht?« fragte ich ihn.
»Das würde ich, wenn die anderen dann nicht glaubten, er könne nicht selbst kämpfen. Heavenly, Logan muß da alleine durch, oder es wird ihm ewig nachhängen, daß ich ihm geholfen hab!«
»Aber die Jungen aus den Bergen kämpfen nicht fair, das weißt du doch!«
»Macht nichts. Er muß ihre Bedingungen annehmen, oder sie werden ihn immer hänseln.«
Fanny hüpfte aufgeregt hin und her, gerade so, als würde Logan um ihre und nicht um meine Ehre kämpfen. Keith zog Unsere-Jane fort zu den Schaukeln und schaukelte sie, damit sie nicht sah, wie einer ihrer Freunde verletzt wurde. Wie einfühlsam Keith war, dachte ich noch,
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