Dunkle Wasser
trat. Sofort wurde meine strahlende Laune gedämpft. Sarah kümmerte sich inzwischen nicht mehr darum, ob die Hütte sauber oder wenigstens aufgeräumt war. Die Mahlzeiten, die früher auch nicht gerade abwechslungsreich gewesen waren, bestanden jetzt meist nur noch aus Brot und Griebenschmalz – ohne Salat oder Gemüse. Schinken und Huhn gab es nur noch selten. Und die Erinnerung an Frühstücksspeck mußte man wohl verdrängen. Unser Gemüsegarten, in dem Großmutter und ich viele Stunden mit Unkrautjäten und Säen verbracht hatten, war jetzt vollkommen vernachlässigt. Das reife Gemüse verfaulte einfach an Ort und Stelle. Und da Vater nicht mehr nach Hause kam, gab es auch kein geräuchertes Schweinefleisch und keinen Schinken mehr als Beilage zur Bohnen- oder Wirsingsuppe oder zum Spinat und den Rüben. Unsere-Jane verweigerte das Essen oder erbrach es sofort wieder, und Keith weinte ununterbrochen, weil er nie satt wurde. Fanny tat nichts anderes als jammern und klagen.
»Ich kann nicht alles alleine machen, es muß mir jemand helfen!« schrie ich und wirbelte im Kreis herum. »Fanny, du gehst zum Brunnen und füllst den Eimer mit frischem Wasser, aber bis zum Rand und nicht nur ein paar Tassen voll, wie du das sonst gerne machst, weil du so faul bist. Tom, geh in den Garten und sammle alles, was wir an Gemüse noch essen können. Unsere-Jane, hör auf zu weinen! Keith, spiel mit Unserer-Jane, damit sie mit dem Weinen aufhört und ich nachdenken kann.«
»Gib du mir keine Befehle«, schrie Fanny. »Ich muß nicht alles tun, was du sagst! Nur weil ‘n Junge für dich gekämpft hat, heißt das noch lange nicht, daß du die Königin der Berge bist.«
»Doch, du mußt Heaven folgen«, entgegnete ihr Tom und schubste sie aus der Tür. »Geh zum Brunnen und hol frisches Wasser.«
»Ist aber dunkel draußen«, jammerte Fanny. »Du weißt doch, daß ich in der Dunkelheit Angst hab!«
»Na gut, dann hol’ ich das Wasser, und du sammelst das Gemüse, und hör auf, immer freche Antworten zu geben…
sonst bin ich der König der Berge und hau dir den Hintern voll!«
»Mutter«, sagte ich am nächsten Tag zu Sarah. Ich hoffte, ich könnte sie in ein kleines Gespräch verwickeln und sie etwas aufmuntern, bevor ich auf die ernsteren Dinge zu sprechen kam. »Ich habe mich vor einigen Stunden verliebt.«
»Tu’s nicht, wärst sonst blöd«, brummte Sarah und warf einen kurzen, kritischen Blick auf meine Figur, die nun unübersehbar weibliche Formen angenommen hatte. »Verlaß die Berge und geh weit genug, daß dir kein Mann ‘n Kind andrehen kann«, warnte sie mich. »Lauf von hier fort, so schnell du kannst, bevor du so wirst, wie ich es geworden bin.«
Verwirrt schlang ich meine Arme um Sarah. »Mutter, bitte rede nicht so. Vater kommt bald wieder nach Hause und bringt uns genügend Essen. Er kommt immer, wenn wir ihn wirklich brauchen.«
»Stimmt, tut er.« Sarah verzog ihr Gesicht zu einer scheußlichen Grimasse. »Grad immer im rechten Augenblick erscheint unser Luke wieder, zurück vom Rumhuren und Saufen, schmeißt die vollen Säcke auf’n Tisch, als brächt’ er Goldbarren heim. Das ist ja wohl alles, was er für uns tut, oder?«
»Mutter…«
»Bin nicht deine Mutter!« brüllte Sarah mit rotangelaufenem Gesicht. Sie sah regelrecht krank aus. »Bin’s nie gewesen. Wo bleibt denn deine berühmte Gescheitheit? Siehst du nicht, daß du mir gar nicht ähnlich siehst?«
Sie stand vor mir mit gespreizten Beinen, barfüßig und mit zerzaustem Haar, das sie seit der Totgeburt ihres Kindes weder gewaschen noch gekämmt hatte. Sie hatte auch seit einem Monat kein Bad genommen. »Ich verschwind’ aus diesem Höllenloch, und wenn du nur ‘n Fünkchen Verstand hast, tust du’s auch.«
»Mutter, bitte geh nicht«, schrie ich verzweifelt und versuchte, ihre Hand zu ergreifen. »Auch wenn du nicht meine richtige Mutter bist, habe ich dich lieb, wirklich! Wir können doch nicht in die Schule gehen und Großvater alleine lassen!
Er kann nicht mehr gut gehen, seit Großmutter tot ist. Er kann fast nichts mehr machen. Bitte, Mutter.«
»Tom kann das Holz hacken«, sagte sie mit tödlicher Ruhe, als hätte sie sich schon entschlossen, uns zu verlassen, egal, was uns zustoßen würde.
»Aber Tom muß in die Schule, und damit wir im Winter genügend Brennholz haben, muß sich mehr als einer darum kümmern: Vater ist ja weg.«
»Ihr kommt schon durch. Tun wir doch immer, oder?«
»Mutter, du kannst doch nicht
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