Dunkle Wasser in Florenz - Roman: Dunkle Wasser in Florenz
finden werden.«
»Alles wird wieder werden wie vorher.«
»Darauf würde ich nicht einmal einen Teller Nudeln wetten«, sagte Casini. Im Schein der Taschenlampe brachte er den Colonnello zur Tür. Dort gaben sie einander wortlos die Hand, es war alles gesagt. Mit einem letzten Kopfnicken verschwand Arcieri die Treppe hinunter. Casini schloss die Tür und wankte in die Küche, um sich einen Kaffee zu kochen. Er hätte nicht im Traum gedacht, dass er sich in dieser Nacht noch mit einem Faschisten unterhalten würde. Aber er hatte sich nun mal entschieden, dem unbeugsamen Colonnello zu helfen. Arcieri kam ihm vor wie ein Relikt aus einer anderen Epoche, ein Mann, der nicht in diese Zeit passte. Vielleicht ähnelten er und der Colonnello einander mehr, als es den Anschein hatte.
Er stürzte seinen Kaffee herunter und zog den Mantel an. Auf dem Weg nach unten musste er an Eleonoras Lippen denken, die sich, nur wenige Zentimeter von seinen entfernt, geöffnet hatten, und er biss sich in die Wangen. Lächerlich, dass er sich in seinem Alter noch so idiotisch aufführen konnte, aber es gefiel ihm sogar ein wenig, sich so zu fühlen.
Kaum hatte er das Haus verlassen, schauderte ihn vor Kälte. Hinter einem Wolkenschleier verbreitete der Mond ein gespenstisches Licht. Casini ging zu dem Fiat 1100 und zündete sich, während er ihn anließ, eine Zigarette an, das Steuer hielt er mit den Knien fest. Es war ein Vergnügen, die leeren Alleen entlangzufahren. Nur hin und wieder begegnete er einem Wagen, einigen Raupenfahrzeugen, Militärjeeps vollbesetzt mit Soldaten und ab und zu einer Streife von den Carabinieri oder der Polizei, die nach Plünderern Ausschau hielt. Außerhalb des überschwemmten Gebietes gab es Strom, die Straßenlaternen brannten, und aus den dunklen Fassaden der Häuser hoben sich hier und da die leuchtenden Rechtecke von Fenstern ab.
Er ließ die Cavalcavia delle Cure hinter sich und bog in den Viale Volta ein. Dort wandte er sich wie immer zu den geschlossenen Fensterläden des Hauses hin, in dem er aufgewachsen war, und verzehrte sich vor Wehmut … Als er ein kleiner Junge gewesen war, hätte er sich nie vorstellen können, dass er sich einmal nach den Jahren der laufenden Nase und der aufgeschürften Knie zurücksehnen würde.
Während Casini über die Allee fuhr und seinen Weg in Richtung San Domenico fortsetzte, dachte er an Gattacci, diesen geschniegelten Typen. Zu Zeiten des Duce hatte er ziemlich im Blickfeld der Öffentlichkeit gestanden, ein stocksteifer, eitler Kerl mit Ambitionen als Dichter, der prahlte, er sei mit Pavolini befreundet. Kein Durchschnittstyp, sogar gebildet. Er besuchte oft das Künstlercafè Giubbe Rosse und saß an einem Tisch mit Vittorini, Landolfi, Montale, Gadda, Pratolini, Rosai … Einmal hatte er dort einem jungen Dichter eine Ohrfeige versetzt, der es gewagt hatte, einen Witz über den ruhmreichen Äthiopienfeldzug und die Notwendigkeit der Großmachtsbestrebungen zu reißen. Der Backenstreich machte in ganz Florenz die Runde und erhöhte Gattaccis Bekanntheit. Casini hatte ihn Ende der dreißiger Jahre kennengelernt, jemand hatte sie einander vorgestellt, vielleicht bei einem Abendessen. Soweit er sich erinnerte, war Gattacci ihm sehr unsympathisch gewesen. Zehn Jahre später war er ihm noch einmal begegnet, als er wegen des Mordes an einer jungen Frau ermittelte, einer engen Freundin und vielleicht auch Geliebten Gattaccis. Sie hatten einander wiedererkannt, aber Casini hatte auf das plumpvertrauliche Verhalten des Faschisten kühl reagiert. Und heute Abend würde er erneut auf ihn treffen. Er hatte doch gerade erst mit jemandem zu tun gehabt, der sich nach den Zeiten des Duce zurücksehnte, und jetzt schon wieder. Es schien wirklich, als machte sich das Schicksal einen Spaß daraus, seine Geduld auf die Probe zu stellen.
Er bog in die Via di San Domenico ein und kontrollierte die ungeraden Hausnummern. Am Straßenrand parkte ein Wagen hinter dem anderen, überwiegend Luxusmodelle. Casini fuhr langsam an der 71/A vorbei, einer kleinen Villa, deren Eingangstür an der Straße lag. Hinter einigen Fenstern brannte Licht, Gattacci war also noch wach. Er folgte der Straße etwa hundert Meter, dann bog er nach links in die Via Donati ab, eine kurze, schmale Parallelstraße zur Via di San Domenico. Dort stellte er seinen Fiat 1100 ab, und sobald er ausgestiegen war, hörte er aus dem Erdgeschoss eines großen Hauses Musik. Dort musste ein Fest stattfinden, deshalb
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