Dunkle Wasser in Florenz - Roman: Dunkle Wasser in Florenz
parkten auch überall diese Wagen. Er trat an ein Fenster, und durch die angelehnten Läden sah er junge Leute in einem verrauchten Zimmer tanzen. Die Mädchen trugen fast alle Miniröcke und schüttelten wie besessen die Köpfe. Eine ausgelassene kleine Party, die sich herzlich wenig um die Überschwemmung scherte …
Er schüttelte den Kopf und fühlte sich plötzlich uralt. Mit einer nicht angezündeten Zigarette zwischen den Lippen lief er zum Haus von Gattacci. Der dunkle Himmel sah nach Regen aus, öfter mal was Neues. Fernab von Schlamm und Heizölgestank konnte man wunderbar durchatmen, und Casinis Müdigkeit schien wie weggeblasen. Allmählich begann ihm dieser unvorhergesehene Nachtspaziergang beinahe zu gefallen. Er war froh darüber, eine klare Aufgabe zu haben – sich um zwei Uhr nachts ein wenig mit einem Faschisten zu unterhalten –, anstatt seinen pubertären Fantasien nachzuhängen. Kaum stand er vor Gattaccis Haus, hörte er Schritte und zwei Männerstimmen hinter der Tür. Hastig entfernte er sich und duckte sich gerade noch rechtzeitig hinter zwei parkenden Wagen, so dass man ihn nicht entdeckte. Zusammengekauert und außer Atem beobachtete er den Bürgersteig. Er sah einen Mann aus Gattaccis Haustür kommen, der sich im fahlen Schein der Straßenlaternen in die entgegengesetzte Richtung entfernte. Casini bemerkte, dass er ein wenig ein Bein nachzog, es sah merkwürdig aus, ruckartig … Wo hatte er diesen Gang schon einmal gesehen? Er sah dem Mann nach und versuchte, sich zu erinnern. Ein guter Ermittler musste in der Lage sein, Leute auch noch nach Jahren wiederzuerkennen. Vielleicht konnte es auch für Arcieri nützlich sein zu erfahren, wer da aus Gattaccis Haus gekommen war … Plötzlich fiel es Casini ein … Das war der Kunde, den er bei seinem ersten Besuch in Panerais Metzgerei gesehen hatte. Kein Zweifel, es war der freundliche Herr, der ihm den Vortritt gelassen hatte.
Der Mann hinkte auf seine eigentümliche Art weiter den Bürgersteig entlang. Casini stand auf und ging ihm nach, die Hände in den Taschen, als sei er ein Spaziergänger. Jemandem innerhalb weniger Tage an zwei so unterschiedlichen Orten zu begegnen war wirklich ein auffälliger Zufall. Dazu kam noch ein merkwürdiges Detail. Der Metzger und Gattacci waren beide Faschisten. Allerdings war die simpelste Folgerung daraus ziemlich banal: Der Hinkende kannte Gattacci und kaufte sein Fleisch bei Panerai … na und? Daran war im Grunde nichts seltsam. Und dennoch: Etwas ging ihm nicht aus dem Kopf, oder vielmehr … was entging ihm gerade? Schließlich kam er darauf. Ja, das war ihm bereits an jenem Tag aufgefallen, aber er hatte nicht weiter darüber nachgedacht: Der Kunde hatte die Metzgerei mit leeren Händen verlassen, er hatte nichts gekauft. Niemand verließ gewöhnlich eine Metzgerei, ohne etwas gekauft zu haben, das war anders als in einem Schuhgeschäft. Also musste der Mann aus einem anderen Grund zu Panerai gekommen sein. Vielleicht waren die beiden Freunde, und in diesem Fall konnte das verbindende Element tatsächlich die Sehnsucht nach den guten alten Zeiten sein. Faschisten, die meinten, sich gemeinsam erinnern zu müssen, die zusammenkamen, um des vielgeliebten Duce zu gedenken, und auf eine glorreiche Zukunft unter dem schwarzen Banner hofften. Es bereitete Casini Freude, ein wenig Sherlock Holmes zu spielen. Und nur eine Stunde zuvor hatte er noch tief und fest geschlafen.
Der Mann erreichte das Ende der langen Reihe geparkter Wagen und stieg in eine große, flaschengrüne Limousine, auf den ersten Blick ein Jaguar. Casini ging schneller. Es gelang ihm, hinter das Fahrzeug zu kommen und das Nummernschild zu lesen, ehe es wegfuhr. Ja, wirklich ein wunderschöner Jaguar. Er wartete ab, bis der Wagen den Abhang hinunter verschwunden war, notierte sich die Nummer auf einer Schachtel Streichhölzer und lief zu der kleinen Villa Gattaccis zurück. Jetzt kam das Schönste.
Während er noch langsam durch die Straße ging, überlegte er, wie er sich Gattacci am besten vorknöpfte. Er wusste genau, was der Colonnello von ihm erwartete, und bei dieser Gelegenheit hatte Casini vor, sich einmal nach Art der Faschisten zu amüsieren. Seine Macht zu missbrauchen, um Angst und Unsicherheit zu verbreiten. Aber anstatt eines Knüppels und Rizinusöls würde er nur Worte benutzen, die oft wesentlich stärker wirkten als physische Gewalt. Um sich auf die Situation vorzubereiten, rief er sich Schauspieler wie Bogart und
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