Dunkle Wasser in Florenz - Roman: Dunkle Wasser in Florenz
Risiko eingegangen, doch diese Erfahrung wurde für alle zu einer Art fixen Idee. Gewalt wurde zum aufregendsten Bestandteil der Sache.
Italo hatten die Drohungen des Zigeuners am meisten erschreckt. Er schlug vor, die Partys in einer anderen Wohnung abzuhalten, aus Angst, dass einer der Jungen trotz aller Vorsichtsmaßnahmen seine Villa erkennen könnte. Bis dahin würde er auch niemanden mehr suchen.
Panerai fand eine Lösung und mietete für ein paar Lire eine Wohnung in der Via Luna an, die für ihre Zwecke recht gut geeignet war. Keine andere Tür führte sonst noch auf den versteckten Platz hinaus, und ein Schutzdach verhinderte, dass die Nachbarn sehen konnten, wer hier ein und aus ging. Es gab auch einen Keller, und in diesem Zimmer unter der Erde richteten sie ihre Lusthöhle ein: ein Bett, ein Teppich, ein paar alte Möbel und eine große Bronzebüste von Mussolini. Kein Geräusch drang von dort nach draußen. Das hatten sie sogar getestet: Zwei von ihnen ließen sich im Keller einschließen und schrien sich die Kehle aus dem Leib. Von außen war nichts zu hören, nicht einmal, wenn man das Ohr an die Haustür legte. Die Miete wurde durch vier geteilt, und jeder hatte einen Schlüssel.
Jetzt stand den Orgien nichts mehr im Wege, und Italo streifte wieder durch die Stadt auf der Suche nach Frischfleisch. Er legte sich ins Zeug, ständig jüngere Jungen zu finden, weil er wusste, dass er damit den anderen eine Freude machte. Er fand einen Waisenknaben, der aus dem Heim fortgelaufen war, einen Gassenjungen, der gerade aus der Jugendstrafanstalt entlassen worden war, einen Jungen, der allein und heimlich in einem Haus im Umland lebte, und sogar einen geistig Behinderten. Er brachte sie in die Via Luna und warf sie ihnen vor wie Fleisch den Raubtieren. Das kam nicht sehr häufig vor, höchstens zwei- oder dreimal im Jahr. Die restliche Zeit begnügten sie sich mit den üblichen Strichern aus dem Park.
Dann kam dieser verfluchte Tag im Oktober. Es regnete in Strömen. Italo war nach Fiesole gefahren, weil er bei seinem Vermögensverwalter zum Mittagessen eingeladen war, einem alten Freund seines Vaters, ein Jude, der wie durch ein Wunder der Deportation entgangen war. Aber Signorini hatte sich im Datum vertan, und die Frau des Verwalters hatte ihm mitgeteilt, ihr Mann wäre in Rom. Italo hatte sich für seine Zerstreutheit entschuldigt und war gegangen. Auf dem Rückweg fuhr er durch den Viale Volta. Bei diesem Wetter begegneten ihm nur wenige andere Wagen. Plötzlich bemerkte er einen Jungen, der bis auf die Knochen durchnässt war und auf dem Bürgersteig entlangrannte. Den Mantel hatte er über den Kopf gezogen, und sein Ranzen hüpfte auf dem Rücken. Instinktiv verlangsamte Signorini seine Fahrt. Er sah, wie der Junge in eine Straße den Hügel hinauf einbog, und folgte ihm in einem gewissen Abstand. Immer wieder blieb der Junge stehen, um Atem zu holen, dann rannte er weiter. Er überquerte einen menschenleeren Platz und lief in eine enge Gasse, die zwischen der hohen Mauer rund um den Parco di Ventaglio und der Fassade eines großen Gebäudes mit vergitterten Fenstern hindurchführte. Plötzlich rutschte das Kind auf dem nassen Asphalt aus und schlug mit dem Gesicht auf den Boden. Als Italo anhielt, um ihm zu helfen, liefen dem Jungen die Tränen in Strömen über die Wangen. Signorini versuchte, ihn zu trösten, und schließlich gelang es ihm, dass der Junge in den Wagen stieg. Beide waren patschnass.
Italo wusste noch nicht, dass er den Jungen in die Via Luna bringen würde, er dachte nicht einmal daran. Vor sich hatte er nicht einen der üblichen Jungen, denen im Leben übel mitgespielt worden war, man sah genau, dass er das Kind wohlhabender Eltern war. Doch plötzlich schoss Signorini ein Gedanke durch den Kopf, und ihn schauderte dabei: Keiner hat mich gesehen. Er stellte sich vor, wie glücklich seine Freunde über eine solche Beute sein würden …
»Ich bringe dich sofort nach Hause, aber jetzt hör erst einmal auf zu weinen. Du möchtest doch nicht, dass deine Eltern dich so sehen? Du bist doch schon groß. Wie heißt du? Giacomo? Was für ein schöner Name. Wer ist denn dein Vater? Ach wirklich? Du bist der Sohn von Rechtsanwalt Pellissari? Ich kenne deinen Vater gut, wirklich gut. Wo wohnst du? Aber natürlich weiß ich, wo die Via Barbacane ist, da lebt eine alte Freundin von mir. Sie heißt Sara, ist blond und hat grüne Augen. Hast du denn schon eine Freundin? Aber klar hast du eine.
Weitere Kostenlose Bücher