Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dunkle Wasser in Florenz - Roman: Dunkle Wasser in Florenz

Dunkle Wasser in Florenz - Roman: Dunkle Wasser in Florenz

Titel: Dunkle Wasser in Florenz - Roman: Dunkle Wasser in Florenz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marco Vichi
Vom Netzwerk:
Kommunisten gerettet und uns den Frieden gebracht. Sie waren auch völlig besessen von Pimmeln. Wenn man sich aus Versehen an den Pimmel fasste, also ich meine, von außen, durch den Stoff, dann setzte es Schläge. Sie zerrten einen in ein Zimmer, hielten die vom Teufel besessene Hand hoch, und dann gab es zehn Schläge mit der Rute. Fass dich da unten rum nicht an, sagten sie mit weit aufgerissenen Augen, sonst wirst du blind und gelähmt. Nach der Strafe segneten sie einen angewidert. Dann kam ich eines Tages in die Toilette und sah, wie die Äbtissin … sagen wir mal, einem meiner Freunde beim Pinkeln half. Es war eine gute Lehrzeit, um zu verstehen, wie die Welt funktioniert.«
    Sie zündeten sich noch eine Zigarette an, und Casini ver suchte, sich an ein Erlebnis aus der Zeit zu erinnern, als er zwölf Jahre alt war. Da kam ihm ein Sonntagnachmittag in der Wohnung im Viale Volta in den Sinn.
    »Im Radio wurde über nichts anderes geredet als über diesen verdammten Marsch auf Rom, der erst einen Tag her war. Mein Vater war normalerweise ein ruhiger Mann, aber an diesem Tag wirkte er so elektrisiert, als hätte er zwei Finger in die Steckdose gesteckt. ›Ein Glück, dass wir den Duce haben‹, sagte er und kippte noch einen Grappa hinunter. Meine Mutter lief unruhig durch die Wohnung, bekreuzigte sich ständig und murmelte Gebete vor sich hin. ›Was hast du denn?‹, fragte sie mein Vater irritiert. ›Das gefällt mir nicht‹, flüsterte sie melodramatisch. ›Und was gefällt dir nicht?‹, knurrte mein Vater. Sie zuckte mit den Schultern. ›Das gefällt mir nicht, das gefällt mir nicht‹, sagte sie nur und betete weiter … Es hat zwanzig Jahre gedauert, bis ihre Gebete von Gott erhört wurden«, beendete Casini seine Erzählung lächelnd.
    »Da sieht man mal, dass Mussolinis Schimpftiraden überzeugender waren«, meinte Botta und leerte sein Glas in einem Zug. Er stand auf, stützte die Hände in die Seiten, schob die Unterlippe vor und wippte dann mit weit aufgerissenen Augen auf seinen Hacken.
    »Italienerrrr … Dummköpfe der Erde, des Meeres und der Luft! Schwarrrzhemden der Idiotie und der Einfalt! Männer und Frauen, Kinder, Großeltern, Tanten, Huren, Hunde, Katzen, Schleimscheißer, Ziegen und Schweine Italiens! Hört mich an! Eine schicksalhafte Stunde schlägt in den Kellergeschossen unseres ruhmreichen Vaterlandes. Die Stunde der unwiderruflichen Ent-schei-dun-gen!«
    »Wenn man dich so anschaut, siehst du unserem großartigen Duce tatsächlich ein wenig ähnlich«, sagte Casini amüsiert. Botta produzierte sich weiter, baute sich mit vorgereckter Brust und in die Seiten gestützten Fäusten auf, blickte dazu entrückt und schnarrte beim Sprechen wie der echte Mussolini.
    »Es gibt nur eine Parole, und die gilt unwiderrrruflich für alle! Sie geistert durch die Lande und entzündet die Herzen vom Ponte di Mezzo bis Coverciano: Kaufen! Und wir werden alles kaufen, um endlich Italien, Europa, ja der ganzen Welt eine lange Periode der Kredite zu schenken.« Er ahmte auch den tosenden Beifall der jubelnden Menge nach … Du-ce! Du-ce! Du-ce! Dann ließ er sich wieder aufs Sofa fallen und leerte den Rest der Flasche in die Gläser.
    »Endlich mal eine vernünftige Rede des Duce.« Casini lächelte. Da der Vin Santo leer war, gingen sie zum Grappa über und reisten weiter durch die Zeit und ihre Erinnerungen. Ennio erzählte, was ihm zehn Jahre zuvor an einem Sonntag im August auf dem Hügel von Pian dei Giullari passiert war.
    »Es war eine Affenhitze, man schwitzte, wenn man nur mit den Wimpern klimperte. Der Arno war so ausgetrocknet, dass er aussah wie eine Urinlache. Zu nachtschlafender Zeit stieg ich in eine Villa ein, weil ich dachte, dass niemand zu Hause sei. Ich ging durch den Flur, und plötzlich sah ich unter einer angelehnten Tür einen Lichtspalt. Ich machte meine Taschenlampe aus und kam näher. Als ich vorsichtig ins Zimmer schaute, sah ich hinter einem großen Schreibtisch einen Mann sitzen, der ins Leere starrte. Er mochte so um die fünfzig gewesen sein, hatte nur noch wenige Haare auf dem Kopf und war ziemlich fett. Immer wieder seufzte er und fuhr sich verzweifelt mit einer Hand übers Gesicht. Ich stand nur da und beobachtete ihn und fragte mich, wie ein so reicher Mensch so unglücklich sein konnte. War ihm etwa der Champagner ausgegangen? War der neue Porsche noch nicht eingetroffen? Hatte der Fiskus herausgefunden, dass er sein Geld in die Schweiz schaffte? Er tat mir

Weitere Kostenlose Bücher