Dunkle Wasser in Florenz - Roman: Dunkle Wasser in Florenz
sich nach rechts. Auf dem Weg zur Piazza Ferrucci beobachtete er die Studenten, die sich emsig vor der Nationalbibliothek zu schaffen machten. Ach, die Glücklichen, dachte er. Jung, schön, heldenhaft. Sie hatten noch ein ganzes Leben vor sich, Träume und Hoffnungen. Nicht wie er, der sich inzwischen wie ein alter Mann ohne jegliche Illusionen fühlte. Seine Zukunft hieß Ruhestand, leere Tage, die er ausfüllen musste, vielleicht mit ein paar Abstechern zum Präsidium, um bei den Kollegen vorbeizuschauen, die immer zu tun hatten. Er musste sich bald entscheiden, wenn er sich aufs Land zurückziehen wollte. Dort würde er den Gemüsegarten umgraben, Hühner züchten und lange Spaziergänge in den Wäldern unternehmen.
Er überquerte den Ponte San Niccolò und ging weiter den Viale Amendola entlang, wobei er vorsichtig balancierend durch den Matsch lief. Hier sah es aus wie auf einem Schrottplatz. Als er am ehemaligen Verlagsgebäude der Zeitschrift »Il Cristallo« vorbeikam, wurden in seinem Kopf Erinnerungen an seine weit zurückliegende Kindheit wach. Mussolini schrie von den Balkonen, die faschistische Jugendorganisation, der Volkempfänger, das Reich, der Afrikakrieg, die Autonomie, die Spottgesänge über das perfide Albion …
Hinter der Piazza Beccaria bog er in den Viale Mazzini und lief ihn entlang bis zur Via Mannelli. Dort überquerte er die Gleise, und als er endlich den Campo di Marte erreichte, hing ihm die Zunge aus dem Hals. Es war Sonntag, aber einige Lebensmittelgeschäfte hatten geöffnet, und auf den Bürgersteigen bildeten sich lange Schlangen. Im allgemeinen, geschäftigen Treiben meldete sich Casini beim kommandierenden Offizier des Lagers und organisierte eine Lieferung von Lebensmitteln und Arzneimitteln nach San Niccolò.
Sie entluden den Lastwagen vor der Osteria Fuori Porta und verteilten gemeinsam mit Don Baldesi und den Studenten seinen Inhalt bis zum letzten Päckchen Salz. Die schöne Verkäuferin war nicht aufgetaucht, genauso wenig wie der junge Mann, der bei ihr gewesen war. Casini sagte den Soldaten, dass er nicht mit ihnen ins Stadion zurückkehren würde, und sah ihnen nach, während sie den Hügel hinauf verschwanden. Er half dem Pfarrer, weitere Bänke aus der Kirche zu tragen, dabei hielt er immer wieder verstohlen Ausschau nach der jungen Frau. Don Baldesi erzählte ihm leise mit einem spöttischen Funkeln in den Augen böse Priesterwitze. Nach der vierten Bank wischte sich der Geistliche den Schweiß von der Stirn.
»Ich gehe und lege mich eine halbe Stunde hin«, sagte er erschöpft. Seit der Nacht der Überschwemmung hatte er vielleicht zwei Stunden geschlafen.
»Ich bleibe hier und helfe«, erklärte Casini.
»Sind Sie wirklich sicher, dass Sie ein Commissario sind?«, fragte der Pfarrer skeptisch, und auf seiner Stirn bildeten sich zwei tiefe Falten.
»Das ist mein einziges Manko.«
»Ich habe viele, deshalb bin ich Pfarrer geworden«, sagte Don Baldesi, und seine Augen lächelten dabei. Als er sich entfernte, taumelte er leicht vor Erschöpfung, dann verschwand er im dunklen Schatten eines Hauseingangs. Casini ließ sich einen Besen geben und kehrte mit den anderen den Schlamm weg. Beim Gedanken an die Verkäuferin kam er sich lächerlich vor, aber er konnte nicht gehen, bevor er sie wiedergesehen hatte. Er wusste nicht genau, was er wollte. Wollte nur, dass sie ihn wiedererkannte, wollte ihr in die Augen sehen und beobachten, wie sie reagierte.
Nach einer Stunde war sein Rücken völlig zerschlagen, und er hatte Blasen an den Händen, aber er machte weiter. Die Schlammmassen schienen kein Ende zu nehmen. Er half einer Frau dabei, ihren Lebensmittelladen auszuräumen. Es war deprimierend, Schinken und Würste, Käse, Nudeln, eingedellte Konservendosen und mit Heizöl verschmierte Packungen mitten auf die Straße zu werfen.
Als er wieder einmal aufblickte, sah er sie. Die Verkäuferin stand vor der gleichen Haustür wie beim letzten Mal. Sie kehrte gemeinsam mit dem missmutigen jungen Mann den Schlamm weg, unterhielt sich mit ihm und lächelte. Wirklich ein schönes Paar.
Casini beobachtete sie verstohlen, und sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Auch so, nachlässig gekleidet, schlammverkrustet, die Haare im Nacken zusammengenommen, war sie noch zauberhaft. Sie bewegte sich leichtfüßig, elegant, mit natürlicher Anmut … Ein hübsches Gesicht allein machte noch keine attraktive Frau aus, so wenig wie nur ein schöner Körper. Dazu gehörte mehr: der
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