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Dunkle Wasser

Dunkle Wasser

Titel: Dunkle Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Jane Beaufrand
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dem
Patchworks
-Logo und eine weiße Schürze. Sie hatte braune Haare, die zu einem asymmetrischen Bob geschnitten waren, wie bei den Schauspielerinnen aus alten Stummfilmen, aber mit einem lila Rand im Nacken. Heute hatte sie ein Snoopy-Pflaster auf dem linken Nasenflügel, wo sie sich letzten Monat ein Piercing hatte machen lassen. Mom sagte, Gretchen müsse den Ring abdecken, wenn sie hier arbeite, weil es unhygienisch sei. Ich glaube nicht, dass es wirklich um Hygiene ging. Oder spielt es, wenn man in die Suppe niest, eine Rolle, ob man ein Piercing in der Nase hat oder nicht? Ich glaube, es war eher eine Frage des Eindrucks. Bei Mom ging es immer um den Eindruck.
    »Hi«, sagte Gretchen. »Wir haben deinen Frühstücks-Burrito weggeworfen. Deine Mom meinte, wir sollten ihn aufheben, aber ich hab gesagt, dir ist bestimmt nicht nach Eiern.«
    »Danke«, brachte ich hervor. Sie hatte recht. Ich hatte auf nichts Appetit, am allerwenigsten auf etwas Zerlaufendes.
    Gretchen drückte das Tablett an ihre Schulter, ihre Fingerbogen sich unter dem Gewicht all der armen Ritter. Ihre Augen bekamen einen weichen Ausdruck. »Ronnie …«
    »Tisch zwölf wartet auf sein Essen«, blaffte ich. Ich wollte nicht darüber sprechen. Nicht mal mit Gretchen.
    Sie kniff die Augen zusammen, blaffte aber nicht zurück. »Ja, richtig«, sagte sie. »Ich wollte dir nur sagen, dass es mir leidtut. Das muss superscheiße gewesen sein.«
    ›Superscheiße‹ beschrieb es nicht mal annähernd, aber das sagte ich nicht. Sie wollte mir nur helfen, und es war ja nicht ihre Schuld, dass ich jedes Wort als Übergriff empfand.
    Gretchen rang sich ein mattes Lächeln ab. Mir fiel auf, wie müde sie aussah. Selbst unter dem ganzen dunklen Augen-Make-up sah man noch die Schatten unter ihren Augen.
    Ich schaute auf meine Uhr. Es war jetzt elf. Sie war seit drei Uhr morgens hier, damit die Brotlaibe aufgehen konnten. Bäckerzeiten waren immer die Hölle.
    »Willst du dich ’ne Weile oben hinhauen?« In meinem Zimmer hatte ich ein Ausziehbett, damit Gretchen nach oben wanken konnte, wenn sie nicht nach Hause wollte. Klar, das
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war auch ein Hotel, sie hätte also wohl ebenso gut ein eigenes Zimmer haben können, wenn nicht viel los war, aber das kam nur selten vor, und außerdem gefiel es Gretchen und mir auch irgendwie, ein Zimmer miteinander zu teilen. Manchmal redeten wir über Bands oder Jungs aus der Schule, aber meistens schliefen wir einfach.
    »Später vielleicht«, sagte sie. »Deine Mom will, dass ich mit den Zimtschnecken anfange.«
    »Ach so …«, sagte ich.
    Klar. Zimtschnecken waren Moms Traueressen. Sie fand, Thunfischauflauf werde überbewertet, und wenn ihn schon niemand essen wolle, wenn er froh war, warum sollte man ihn dann einem Trauernden unterjubeln? Mit Schnecken war es anders. Man konnte sie essen und sich vormachen, dass man eigentlich gar nichts aß, sondern nur von einer langen klebrigen Spirale etwas abriss. Und häufig, meinte Mom, sei zerreißen genau das, was man in so einer Situation brauchte.
    »Ich zieh schon mal das Bett aus«, sagte ich zu Gretchen und machte mich die Treppe hinauf, erleichtert, dass ich noch die Fähigkeit besaß, jemand anderem einen Gefallen zu tun.
    Aber ich machte mir nichts vor: Meiner Freundin einen Schlafplatz zu bieten war nichts. Es war nur eine kleine Rettung.
    Dennoch zählte ich mir die kleinen Rettungen von heute Morgen auf, als ich die Stufen hochstieg. Es waren viele: dass Gretchen meinen Frühstücks-Burrito weggeworfen hatte, dass Ranger Dave mir den Rücken gestreichelt hatte, als ich mich auf die Tür seines Geländewagens übergab, dass der Deputy mit dem Riesenschnurrbart mir seinen Regenmantel geliehen hatte, dass Dad den Anwalt in sich heraufbeschworen hatte, um zu beurteilen, was mit den Sandkuchen passieren sollte – und selbst, dass TomásCasey einen Rippenstoß versetzt und ihn einen Vollidioten genannt hatte. Mit kleinen Rettungen hatte niemand in der Stadt Mühe.
    Nur die großen Rettungen, die gelangen keinem von uns.

7
    Am naheliegendsten schien mir jetzt eine Dusche. Anschließend würde ich nach unten gehen und mithelfen, die vielen Mittagsgäste zu bedienen.
    Doch das war ein Fehler. Sobald mir das heiße Wasser über den Rücken lief, wurde mir klar, dass ich nur mit Taubheit durch den Tag gekommen war. Ich wollte überhaupt nicht, dass das Gefühl in meine Haut zurückkehrte. Ich versuchte, es mit dem Luffaschwamm abzurubbeln, bis ich rote Striemen auf

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