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Dunkle Wasser

Dunkle Wasser

Titel: Dunkle Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Jane Beaufrand
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voller Mitleid. Er trat zwei Schritte auf mich zu und schaute mich so lieb an, dass ich an Thor, den Schäferhund, denken musste. Er legte mir die Hand auf die Schulter, und für einen kurzen Augenblick hörte der Fluss auf zu rauschen, mein Schmerz ließ ein wenig nach, und mir fiel auf, dass Brad trotz allem eigentlich ganz gut aussah.
    Er beugte sich zu mir und drückte seinen Mund leicht auf meinen. »Das mit Karen tut mir leid«, sagte er und strich mir durch die feuchten Locken. Dann tätschelte er mir kurz den Arm, öffnete die Tür zur Gletscherlilien-Suite und ging hinein.
    Ich stand da, sah auf die geschlossene Tür und lauschte dem Gemurmel seiner Stimme dahinter. Ich fuhr mir mit der Zunge über die Lippen. Sie schmeckten nach Wachs, aber auch nach Minze.
    Der Kuss war nicht schlecht, leicht wie ein Soufflé. Und ich wusste, wenn ich mich wirklich bemühte, konnte ich Brad in meiner Fantasie in einen Ritter verwandeln. Aber an dem Morgen hatte ich nicht viel Fantasie, und sosehr ich es auch versuchte, ich konnte aus dem Kuss nicht mehrmachen, als er war: ein Beleidskuss, aufrichtig, aber bedeutungslos.
    Wenn das schon ohne Bedeutung war, was hatte dann überhaupt noch eine?

Wir gehen am Flussufer entlang, Karen voran und ich hinterher. Es ist ein sonniger Tag und der Fluss fließt ruhig und gluckernd dahin. Karen trägt ein T-Shirt, eine kurze Hose und Flipflops. Sie besteht darauf, in den Schuhen durch das flache Wasser zu balancieren, mit ausgestreckten Armen, so als wären die schlüpfrigen Steine ein Schwebebalken
.
    Von ihrem Trampolinsturz hat sie noch immer ein großes Pflaster auf der Stirn
.
    Ich sehe, wie sie strauchelt, sich aber schnell wieder fängt
.
    Sind deine Schuhe auch rutschfest?
    Keine Angst, Ronnie. Ich mach das ständig. He, guck dir das mal an
.
    Sie bückt sich und hebt etwas auf. Ein glatter Flussstein, von einer Farbe wie Granit, aber rund und flach wie ein Pfannkuchen
.
    Ich beuge mich zu ihr. Was ist das?, frage ich. Ein Donnerei? Achat? Quarz?
    Karen zuckt mit den Schultern. Bloß ein Stein. Aber sieh mal, was er kann
.
    Sie holt aus und lässt den Pfannkuchen über das Wasser sausen. Und obwohl die Oberfläche nicht glatt und ruhig ist wie bei einem Teich, kann ich die Sprünge leicht zählen. Eins, zwei, drei

    Sechs! Ganz schön viele, sage ich. Und schiebe hinterher: oder?
    Ziemlich normal, sagt sie. Wieso? Was ist denn dein Rekord?
    Ich zögere
.
    Du hast gar keinen, stellt sie fest
.
    Hab ich wohl, sage ich. Ich habe ganz vergessen, dass ich keine acht Jahre mehr bin
.
    Hat dir etwa nie jemand gezeigt, wie man Steine hüpfen lässt?
    Nein. Das ist keine Begabung, die man in seine Bewerbung fürs College schreiben kann
.
    Karen kichert wieder
.
    Bringst du es mir bei?
    Sie zögert. Schließlich bin ich älter als sie. In allem führt sie mich, aber hier muss ich sie aus der Reserve locken. Wäre der Stein gut? Was ist mit diesem? Ich hebe einengroßen Brocken vulkanisches Gestein aus dem Fluss. Dann werfe ich ihn, platsch! Wie einen Diskus. Ich glaub, ich hab mir einen Bruch gehoben
.
    Karen lacht gackernd. Nein, du Dummi, so doch nicht
.
    Sie ist eine tolle Lehrerin. Sie hat viel Geduld und kann etwas, das ganz schwierig erscheint, wunderbar Schritt für Schritt erklären: wie man den Stein aussucht, wie man ihn hält, wie weit man die Hand nach hinten nimmt, in welchem Moment man Kraft einsetzt und wann man loslässt. Am Ende des Nachmittags hole ich aus einem beigefarbenen Stein läppische zwei Sprünge heraus. Karen und ich quieken vor Begeisterung
.
    Dann wirft sie wieder einen, der achtmal hüpft – fast bis ans andere Ufer
.
    Im Gebüsch drüben raschelt es, als etwas Großes davonspringt. Über uns fliegt Adler Fred von seinem Horst auf. Wir sind Störenfriede
.
    Hoffentlich haben wir kein Tier erwischt, sage ich
.
    Wohl kaum, sagt sie
.
    Wieso?, will ich fragen. Was ist denn auf der anderen Seite?
    Und ich weiß, wenn ich sie jetzt frage, führt sie mich hinüber. Doch ich bin noch neu hier, und die Strömung, so schwach sie auch ist und so niedrig das Wasser, macht mir Angst. Albern. Es ist nur ein kleiner Fluss. Man kann auf den Grund sehen. Nicht wie beim riesigen, trüben Willamette, der durch Portland fließt. Aber der ist irgendwie anders. Vorhersehbarer. Man weiß, dass man sich Diphtherieholt, wenn man hineinfällt, dafür muss man kein Hellseher sein
.
    Na los,
denke ich
. Sei mutig. Frag sie, was dort drüben ist.
    Komm, wir gehen zurück und

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