Dunkle Wünsche
Jungen nun wie Mädchen und alle
Mädchen wie Jungen aussähen —, und was das wohl zu bedeuten habe. Als ich mit
dem Artikel fertig war, gelangte ich zu der Ansicht, daß der Bursche, der ihn
geschrieben hatte, ebenfalls nicht wußte, was es zu bedeuten hat. Also stand
ich damit nicht allein.
Ich stand auf und ging zum
Schreibtisch der Silberblonden zurück. Ihr Gesicht war eine ausdruckslose Maske
kosmetischer Erzeugnisse, und ihre Augen spiegelten diese Ausdruckslosigkeit
wider.
»Mr. Drury ist nach wie vor in
der Konferenz«, sagte sie kalt. »Ich schätze, es wird mindestens noch eine
Stunde dauern.«
Neben sich auf dem Schreibtisch
hatte sie eins dieser quäkenden Sprechgeräte stehen, mit etwa zehn Knöpfen in
einer Reihe, mit denen, wie ich annahm, jeweils die Verbindung zu einem der
Büros aufgenommen werden konnte. Ich schaffte es, mit Hilfe beider Hände
sämtliche Knöpfe auf einmal herunterzudrücken und sagte laut: »Lieutenant
Wheeler ist hier und möchte Mr. Drury sprechen. Mr. Drury kann entweder aus dem
Fenster springen oder sofort zu dem Lieutenant kommen.«
Im Augenblick, als ich die
Knöpfe losließ, ertönte ein lautes schnarrendes Geräusch. Die Silberblonde
drückte mit zitterndem Finger auf einen der Knöpfe, und eine wütende Stimme
bellte: »Was, zum Teufel, war denn das?«
»Es tut mir schrecklich leid,
Mr. Drury!« Ihre Stimme klang, als ob sie gleich los weinen würde. »Er hat es
getan, bevor ich ihn daran hindern konnte.«
»Wer?«
»Dieser verrückte Lieutenant
hier.«
»Der ist echt?« Die Stimme
klang überrascht. »Na, dann schicken Sie ihn rein, Sie dummes Frauenzimmer!«
Sie blickte mich mit
mordlustigen Augen an und wies auf eine Schwingtür. »Dort hinein.« Sie
schluckte mühsam. »Dritte Tür links.«
»Tausend Dank«, sagte ich. »Und
wenn es Ihnen ein Trost ist, ich halte Sie nicht für ein dummes Frauenzimmer — für
einfältig vielleicht, aber nicht für dumm!«
Die dritte Tür links war mit
Eichenholz getäfelt und ohne Aufschrift. Ich klopfte, und eine Stimme forderte
mich auf, einzutreten. Das Innere des Büros war mit der Zurückhaltung
ausgestattet, die sicheren Geschmack und freie Verfügung über ein dickes Bündel
Banknoten verriet. Ich fragte mich deshalb, während Drury hinter seinem
Schreibtisch aufstand, um mich zu begrüßen, in wie vielen Unternehmen der Stadt
er wohl die Finger haben mochte. Drury war mittelgroß, schlank, hatte wunderbar
gepflegtes graues Haar und dazu passende graue Augen. Sein Anzug mußte sich in
der Preislage von fünfhundert Dollar bewegt haben, und das Willkommenslächeln
auf seinem Gesicht war bis zum letzten Millimeter auskalkuliert.
»Sie haben in der Tat eine
unorthodoxe Art und Weise, sich anzumelden, Lieutenant — äh...?«
»Wheeler«, sagte ich. »Da ich
kein Zelt bei mir hatte, um es in Ihrem Empfangszimmer aufzuschlagen, schien mir
das die einzige Möglichkeit zu sein, Sie noch vor Sonnenuntergang zu sprechen.«
»Diese Margo — !« Er schüttelte
mißbilligend den Kopf. »Sie ist dekorativ, aber dumm! Setzen Sie sich,
Lieutenant, und sagen Sie mir, was Sie auf dem Herzen haben.«
Ich versank in die tiefen
bequemen Polster eines modernen dänischen Sessels und suchte nach einer
Zigarette. »Es interessiert mich, zu erfahren, warum Sie Ihre Absicht, mich
gestern abend mit Mason zusammentreffen zu lassen,
geändert haben, nach all der Mühe, die Sie sich gegeben haben, mir durch Big
Mike Masons Adresse zukommen zu lassen.«
Er ließ sich wieder hinter
seinem Schreibtisch nieder und betrachtete mich ein paar Sekunden lang
gedankenvoll, bevor er zu sprechen begann. »Ich hatte meine Absicht nicht
geändert«, sagte er freundlich.
»Mason war fort, bevor ich
dorthin kam«, sagte ich in scharfem Ton. »Ich habe einen Zeugen, der etwa zehn
Minuten vor mir in der Wohnung eintraf. Big Mike öffnete die Tür und schlug ihn
sofort nieder.«
»Das müssen wir herausfinden.«
Er drückte auf einen Knopf auf seinem kleinen schwarzen Sprechgerät und sagte:
»Mr. Kramer soll sofort hierherkommen.«
Ich zündete die Zigarette an,
die ich zwischen den Fingern hielt, und sah zu, wie der Rauch emporschwebte und
durch die Öffnung der Klimaanlage verschwand. Drury saß da, die Hände gelassen
vor sich auf dem Schreibtisch gefaltet, als ob er über einige der
komplizierteren Aspekte der Hegelschen Philosophie meditierte. Dann begann die
Tür in ihrem Rahmen zu zittern, bevor sie aufsprang und der Neandertaler ins
Büro
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