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Dunkler Dämon

Dunkler Dämon

Titel: Dunkler Dämon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
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Taurus unter einem Banyanbaum. Ein Tag mochte vorüberziehen, ohne dass Doakes sich sehen ließ, aber ich konnte ihn dort draußen spüren, wie er über mir kreiste und wartete, und ich wagte nicht zu hoffen, dass er aufgab; sah ich ihn nicht, hatte er sich entweder gut versteckt oder lauerte darauf, mich mit einem weiteren überraschenden Auftauchen zu erschrecken.
    Ich war gezwungen, aus dem Tagesdexter eine Vollzeitbeschäftigung zu machen, wie ein in einem Film gefangener Schauspieler, der weiß, dass die wirkliche Welt dort draußen liegt, direkt jenseits der Leinwand, aber so unerreichbar wie der Mond. Und wie der Mond zerrte der Gedanke an Reiker an mir. Die Vorstellung, wie er in diesen absurden roten Stiefeln durch sein sorgenfreies Leben stapfte, war fast mehr, als ich ertragen konnte.
    Selbstverständlich wusste ich, dass nicht einmal Doakes ewig so weitermachen konnte. Immerhin erhielt er von den Bürgern Miamis ein üppiges Gehalt dafür, einen Beruf auszuüben, und hin und wieder musste er ihn ausüben. Aber Doakes wusste um die steigende innere Flut, die mich quälte, und er wusste, dass die Maske verrutschen würde, wenn er lange genug Druck ausübte, verrutschen MUSSTE , während das eisige Flüstern vom Rücksitz immer drängender wurde.
    Und da waren wir, balancierten auf Messers Schneide, die unglücklicherweise nur metaphorisch war. Früher oder später musste ich ich sein. Doch bis dahin würde ich schrecklich viel von Rita sehen. Sie konnte meiner alten Flamme, dem Dunklen Passagier, nicht das Wasser reichen, aber ich brauchte meine geheime Identität. Und bis ich Doakes entkam, war Rita mein Umhang, meine rote Strumpfhose, mein Werkzeuggürtel – fast die komplette Verkleidung.
    Nun gut. Ich würde auf dem Sofa sitzen, eine Bierdose in der Hand,
Inselduell
schauen und über eine interessante Variante nachdenken, die es niemals auf den Bildschirm schaffen würde. Wenn man Dexter unter die Gestrandeten mischte und den Titel ein wenig wörtlicher interpretierte …
    Nicht alles war elend, trostlos und erbärmlich. Mehrmals die Woche musste ich Dosentreten mit Astor, Cody und anderen ausgewählten wilden Geschöpfen des Viertels spielen, womit wir wieder beim Anfang wären: der demilitarisierte Dexter, unfähig, durch sein übliches Leben zu segeln, dümpelt stattdessen mit einer Horde Kinder und einer Raviolidose vor sich hin. An regnerischen Abenden blieben wir im Haus, saßen um den Esstisch, während Rita geschäftig die Wäsche machte, das Geschirr spülte und auf andere Weise die häusliche Idylle in ihrem kleinen Nest perfektionierte.
    Es gibt nur eine begrenzte Anzahl von Spielen für drinnen, die man mit Kindern so zarten Alters und so derangierten Innenlebens wie das Astors und Codys spielen kann; die meisten Brettspiele waren für sie uninteressant oder unverständlich, und zu viele der Kartenspiele erforderten eine unbeschwerte Einfalt, die nicht einmal ich überzeugend vortäuschen konnte. Schließlich verfielen wir auf Galgenmännchen; es war erzieherisch wertvoll, kreativ und mild mörderisch, was uns alle zufrieden stellte, selbst Rita.
    Hätte man mich in der Zeit vor Doakes gefragt, ob ein Leben voller Galgenmännchen und Miller Lite nach meinem Geschmack wäre, hätte ich mich zu dem Geständnis gezwungen gesehen, dass Dexter auf deutlich Härteres stand. Aber während die Tage sich aneinander reihten, schlüpfte ich immer tiefer in die Wirklichkeit meiner Tarnung. Ich musste mir die Frage stellen: Genoss ich das Leben des häuslichen Mr. Vorstadt nicht ein wenig zu sehr?
    Doch war es irgendwie tröstlich, die raubtierhafte Lust zu beobachten, mit der sich Cody und Astor etwas so Harmlosem wie Galgenmännchen widmeten. Ihre Begeisterung für das Erhängen des Strichmännchens gab mir ein wenig mehr das Gefühl, als gehörten wir alle zur selben Spezies. Während sie fröhlich ihre anonymen Gehenkten meuchelten, fühlte ich mich ihnen gewissermaßen verwandt.
    Astor lernte das Zeichnen des Galgens und der Linien für die Buchstaben rasch. Selbstverständlich war sie außerordentlich gesprächig. »Sieben Buchstaben«, sagte sie zum Beispiel, klemmte dann die Oberlippe zwischen die Zähne und fügte hinzu: »Wartet. Sechs.« Rieten Cody und ich daneben, schlug sie zu und rief: »Ein ARM ! Ha!« Worauf Cody sie ausdruckslos anstarrte und dann auf das Strichmännchen hinabsah, das an seiner Schlinge baumelte. War er an der Reihe und wir rieten falsch, sagte er mit seiner leisen

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