Dunkler Dämon
starrte und wartete, an unseren letzten Angelausflug dachte und sich fragte, wann er jemals wieder das Messer so tief hineinstoßen und drehen durfte, beobachten, wie das leuchtend rote Blut über die Klinge sprudelt, und lächeln, und dann …
Mal langsam, Dexter. Woher kam dieser Gedanke? Selbstverständlich eine rhetorische Frage, und ich hätte des leisen amüsierten Grollens meines inwendigen Freundes nicht bedurft, um die Antwort zu erkennen. Aber bei diesem Stichwort setzte ich die wenigen verstreuten Teile zu einem halben Puzzle zusammen und erkannte, dass Cody …
Ist es nicht seltsam, was uns durch den Kopf geht, wenn wir im Sterben liegen? Das Auto lag auf seinem eingedrückten Dach, schaukelte mittlerweile nur noch sanft hin und her und war komplett mit Wasser voll gelaufen, so schlammig und dick, dass ich das Mündungsfeuer eines Gewehrs nicht hätte erkennen können, selbst wenn es direkt vor meiner Nase abgefeuert worden wäre. Und doch konnte ich Cody ganz deutlich vor mir sehen, viel deutlicher als das letzte Mal, da wir zusammen im selben Raum gewesen waren; und hinter dem scharfen Bild seiner kleinen Gestalt erhob sich ein riesiger düsterer Schatten, ein schwarzer Umriss ohne erkennbare Züge, der irgendwie zu lachen schien.
Konnte es sein? Ich dachte darüber nach, wie glücklich er das Messer in den Fisch gestoßen hatte. Ich dachte an seine seltsame Reaktion auf das Verschwinden des Nachbarshundes – ganz ähnlich der meinen, als man mich damals im gleichen Alter nach dem Nachbarshund gefragt hatte, den ich entführt und mit dem ich experimentiert hatte. Und ich erinnerte mich, dass er genau wie ich ein traumatisches Ereignis durchlebt hatte, als sein biologischer Vater ihn und seine Schwester in einem grauenerregenden, von Drogen ausgelösten Wutanfall angegriffen und mit einem Stuhl auf sie eingeschlagen hatte.
Es war unvorstellbar, undenkbar. Eine lächerliche Vorstellung, aber … Alle Puzzleteile passten. Es ergab einen perfekten, poetischen Sinn.
Ich hatte einen Sohn.
Jemanden, der Genau War Wie Ich.
Aber es gab keinen weisen Adoptivvater, der seine ersten kleinen Schritte in die Welt des Stückelns und Schneidens begleitet hätte, keinen allwissenden Harry, der ihn lehrte, alles zu sein, was er sein konnte, der ihm half, sich von einem ziellosen Kind mit dem willkürlichen Drang zu töten, in einen umhangbewehrten Rächer zu verwandeln; niemanden, der ihn sorgsam und geduldig an den Fallgruben vorbei zur glitzernden Messerklinge der Zukunft lenkte – niemand würde für Cody da sein, nicht, falls Dexter hier und jetzt starb.
Es klänge viel zu melodramatisch, wenn ich jetzt sagte »und dieser Gedanke trieb mich zu raschem Handeln«, und ich bin nur dann melodramatisch, wenn ich Publikum habe.
Aber als mich die Erkenntnis von Codys wahrer Natur traf, hörte ich gleichzeitig, fast wie ein Echo, eine tiefe körperlose Stimme sagen: »Öffne den Sicherheitsgurt, Dexter.« Und irgendwie gelang es mir, meine riesigen unbeholfenen Finger zum Schloss des Gurts zu bewegen und am Auslöser zu fummeln. Es war, als versuchte man einen Schinken durch ein Nadelöhr zu fädeln, aber ich stocherte und drückte, und schließlich spürte ich, wie etwas nachgab. Die Folge war natürlich, dass ich mit dem Kopf gegen die Decke stieß, etwas heftig, wenn man bedachte, dass ich mich unter Wasser befand. Aber der Schock des Aufpralls vertrieb ein paar weitere Spinnweben aus meinem Verstand, und ich drehte mich um und langte nach der Öffnung, wo die Beifahrertür gewesen war. Es gelang mir, mich hindurchzuziehen, und ich stürzte mit dem Gesicht voran in die mehrere Zentimeter dicke Schlammschicht auf dem Grund des Teiches.
Ich drehte mich um und stieß mich ab, um zur Oberfläche zu gelangen. Es war ein ziemlich schwacher Stoß, aber er reichte, da der Teich nur ungefähr einen Meter tief war. Ich kam auf die Knie, rappelte mich auf die Beine, und dann stand ich einen Moment lang nur würgend und japsend in der herrlichen Luft. Eine wunderbare und unterschätzte Sache, Luft. Wie wahr, dass wir die Dinge erst dann zu schätzen wissen, wenn wir ohne sie auskommen müssen. Was für ein schrecklicher Gedanke, sich die ganzen armen Menschen auf der Welt vorzustellen, die ohne Luft auskommen mussten, Menschen wie …
… Deborah?
Ein echtes menschliches Wesen hätte viel früher an seine ertrinkende Schwester gedacht, aber nun kommen Sie, wir wollen doch fair bleiben; mehr kann man von einer
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