Dunkler Fremder
verschwand hinter dem Vorhang.
Shane leerte sein Glas und drängte sich zwischen
den Gästen hindurch zu der Tür neben der Bühne vor. Er
öffnete sie, stieg einige Stufen hinauf, die ihn hinter die
Kulissen der Bühne führten. Einige Bühnenarbeiter waren
voll davon in Anspruch genommen, die Dekoration für den
nächsten Auftritt umzubauen und schenkten Shane keinerlei
Beachtung, als er an ihnen vorbei zu einer eisernen Treppe ging, die
weiter nach oben führte. Dort erreichte er einen Gang, in den
mehrere Türen mündeten. Als er weiterging, öffnete sich
eine Tür, und aus dem Raum dahinter drang lautes, fröhliches
Gelächter, und Jenny Green erschien auf dem Gang. Sie wandte sich
so schnell und unvermittelt um, daß sie beinahe
zusammenstießen. Mit überraschtem Gesicht blickte sie zu ihm
auf. »Ihnen begegne ich offenbar überall«, sagte sie.
Er lachte vergnügt. »Sie müssen sich
sehr beeilt haben, um noch rechtzeitig zu Ihrem Auftritt
hierzusein.«
Sie zog gleichmütig die Schultern hoch.
»Ein paar von uns Mädchen waren auch drüben. Wir haben
uns zusammen ein Taxi genommen.« Sie lächelte schelmisch.
»Sie suchen doch nicht etwa nach mir?«
Er schüttelte bedauernd den Kopf. »Im Augenblick nicht. Heute abend suche ich nach Reggie Steele.«
Sie drehte sich um und deutete den Gang hinunter.
»Da hinten, die letzte Tür. Sein Name steht drauf. Sie
können sie nicht verfehlen.« Sie lächelte ihm zu.
»Wir sehen uns später vielleicht, mein Lieber.« Damit
ging sie in ihre Garderobe zurück.
Er stieg über zwei weitere Stufen in eine etwas höher gele
gene Ebene des Korridors hinauf. Sie war mit einem dicken Teppich
ausgelegt, und hier stieß er auf die Tür, die in goldenen
Buchstaben Steeles Namen trug.
Einen Augenblick lang zögerte er, lauschte auf
ein Geräusch aus dem halbgeöffneten Oberlichtfenster
über der Tür, als er eine Bewegung hinter sich wahrnahm und
sich schnell umdrehte.
Zwei Schritte von ihm entfernt stand ein großer,
breitschultriger Mann, der ihn mißtrauisch musterte. Dunkles
krauses Haar lag über einer niedrigen Stirn, und eine wulstige
Narbe, die sich über seine rechte Wange zog, verlieh ihm einen
finsteren, bedrohlichen Ausdruck.
»Um was geht's denn, Jack?« fragte er herausfordernd.
Shane betrachtete ihn von oben bis unten und erwiderte
kalt: »Ich suche Mister Steele.« Ein gehässiges
Funkeln trat in die Augen des Mannes, doch Shane wandte sich schnell
ab, öffnete die Tür und trat ohne zu zögern in das
Zimmer.
Der Raum war in creme und gold ausgestattet, und in
dem aufwendigen Kamin flackerte ein Feuer. Steele saß hinter
einem Schreibtisch, der von Papieren bedeckt war. Als die Tür sich
öffnete, sah er überrascht auf.
Für einige Augenblicke blickten er und Shane
einander fest in die Augen, dann verzog Steeles Mund sich zu einem
Grinsen. »Hallo, Shane«, sagte er. »Ich habe dich
schon erwartet. Was hat dich so lange aufgehalten?«
Der breitschultrige Mann war Shane in das Zimmer
gefolgt. »Ich hab' den da draußen vor der Tür
gefunden, wie er hier gelauscht hat, Boß«, meldete er.
Steele erhob sich von seinem Platz und winkte mit
einer Hand ab. »Schon in Ordnung, Frenchy. Mister Shane und ich
sind alte Freunde. Sehr alte Freunde sogar.«
Die Tür schloß sich leise, als Frenchy sich zurückzog, und die beiden waren allein.
Steele trat vor eine Hausbar und ergriff eine Flasche. »Ist dir Whisky recht?«
Shane nickte und zündete sich eine Zigarette an.
»Ich konnte mich nicht mehr genau erinnern, wie du
aussiehst«, begann er, »aber sobald ich durch diese
Tür kam, erinnerte ich mich wieder an dich und alles andere. Das
hier ist genau die Umgebung, in der ich dich mir immer vorgestellt
habe.«
Steele reichte ihm ein Glas und nahm wieder hinter dem
Schreibtisch Platz. »Ich habe keinen Grund, mich zu
beklagen«, antwortete er. »Ich habe es mit meinem kleinen
Arrangement hier eigentlich ganz gut getroffen.«
Sein Abendanzug war offensichtlich
maßgeschneidert. Das Zigarettenetui, das er aus seiner
Innentasche zog, war aus Platin. Der sauber gestutzte Oberlippenbart
verlieh ihm ein gefälliges Aussehen, doch das Kinn unter den etwas
wulstigen Lippen war wenig markant. Er blies den Rauch seiner Zigarette
zur Decke. »Wie ich höre, hast du in meinem anderen Lokal
für ein bißchen Unruhe gesorgt?«
Shane zog die Augenbrauen hoch. »Wer hat dir das gesagt?
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