Dunkler Fremder
daß einer der
drei Ihnen stärker belastet erscheint als die anderen?«
Seufzend schüttelte er den Kopf. »Nein,
gerade das kann ich nicht. Zunächst hatte ich geglaubt, daß
ich Crowther von meiner Liste streichen könnte, aber jetzt bin ich
mir dessen keineswegs sicher. Mir scheint, daß ihm sehr viel
daran gelegen ist, daß ich meine Nachforschungen einstelle. Wilby
hat eindeutig zu erkennen gegeben, daß er Angst hat, aber
irgendwie habe ich die Überzeugung gewonnen, daß seine Angst
eine andere Ursache hat.«
»Und was ist mit Steele?« fragte sie.
Er hob ratlos die Schultern. »Steele scheint mir
der Verdächtigste zu sein, nicht nur, weil er von Natur aus
skrupellos ist. Er ist so total egoistisch, einer der immer nur das
tut, was für ihn am meisten Vorteile bringt.«
»Und was beabsichtigen Sie jetzt zu
unternehmen?« fragte Laura. »Sie sind doch offenbar in
einer Sackgasse gelandet.«
Nachdenklich runzelte er die Stirn. »Da bin ich
nicht so sicher. Ich weiß, daß es so aussieht, aber ich
mache mir so meine Gedanken über Joe Wilby. Irgendwie liegt bei
ihm der Schlüssel zu der ganzen Sache. Wenn er selbst nicht der
Schuldige sein sollte, dann weiß er zumindest, wer es ist. Davon
bin ich überzeugt. Und wenn ich es mir genau überlege, dann
halte ich Steele für den Schuldigen.«
Nach diesen Worten saßen sie einander schweigend
gegenüber, bis die Kapelle einen alten romantischen Schlager aus
der Vorkriegszeit zu spielen begann. »Wollen wir tanzen?«
unterbrach er das Schweigen. Sie nickte mit dem Anflug eines
Lächelns auf den Lippen, und sie gingen zur Tanzfläche.
Laura schmiegte sich eng in seine Arme, legte ihren
Kopf an seine Schulter. Sie umhüllte der betörende Duft ihres
Parfüms, und er spürte die verlockende Wärme ihres
Körpers, der sei
nem so nahe war.
Als die Kapelle geendet hatte, blickte sie zu ihm auf.
Ihr Gesicht hatte einen seltsamen Ausdruck. »Tut mir leid,
Martin«, sagte sie unvermittelt, »aber es wird Zeit
für mich. Wir müssen gehen.« Verständnisvoll
nickte er und winkte dem Kellner.
Als sie den Wagen vom Parkplatz auf die Straße
hinauslenkte, machte sie einen überraschenden Vorschlag. »Es
geht mir schon die ganze Zeit durch den Kopf: Ich würde Sie gern
malen, Martin. Hätten Sie morgen nachmittag Zeit, mich zu
besuchen? Ich würde zunächst gern eine Bleistiftskizze
entwerfen.«
»Warum das? Um mich der Nachwelt zu
erhalten?« fragte er leichthin. Sie antwortete nicht, und den
Rest des Weges legten sie schweigend zurück.
Als sie vor seinem Hotel anhielt, ließ sie den
Motor laufen. »Ich fürchte, ich muß mich
beeilen«, sagte sie. »Aber wie ist es? Werden Sie
kommen?«
Er nickte zustimmend. »Ja. Kurz nach der Mittagszeit.«
Einen langen Augenblick sahen sie sich schweigend an,
und dann wandte er sich ab, um die Wagentür zu öffnen. Als er
die Hand auf den Türgriff legte, sagte sie plötzlich mit
einem atemlosen Flüstern: »Martin!«
Er beugte sich ihr zu und nahm sie in seine Arme. Ihr
weicher Körper schmiegte sich eng an ihn, und ihre warmen Lippen
öffneten sich den seinen lockend wie die Blütenblätter
einer Blume. Einen Augenblick lang hielten sie sich eng umschlungen,
dann schob sie ihn sacht von sich und rang nach Luft. »Ich
muß jetzt fort, Martin. Wir sehen uns morgen.«
Er wollte sie noch einmal umarmen, aber sie legte ihre
Hand fest gegen seine Brust und drängte ihn zurück.
Widerstrebend öffnete er die Wagentür und stieg aus.
Sie winkte ihm noch einmal zu, dann tauchte der Wagen
im Nebel unter. Das Blut rauschte ihm in den Ohren, und sein ganzer
Körper vibrierte und war zum erstenmal seit Jahren von wirklichem
Leben erfüllt.
Zwei Stufen auf einmal nehmend, eilte er die Treppe
hinauf und schloß seine Zimmertür auf. Er durchquerte den
Raum und schaltete die Lampe neben dem Bett ein, doch als aus den Ekken
des Zimmers wiederum die dunklen Schatten nach ihm griffen, war seine
gehobene Stimmung mit einem Schlag verflogen.
Er holte die Reisetasche aus dem Schrank, nahm die
Whiskyflasche heraus und setzte sie an die Lippen. Als der Whisky ihm
brennend durch die Kehle rann, ließ er sich auf die Bettkante
sinken. Wie zufällig schob er seine Hand unter das Kopfkissen.
Alarmiert fuhr er hoch, richtete sich vom Bett auf und
riß das Kissen beiseite. Er konnte es nicht glauben, aber die
Pistole war verschwunden.
9
Fieberhaft
überprüfte er seine
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