Dunkler Fremder
kümmert sich denn um Ihren
Vater?« fragte er schließlich. »Oder können Sie
ihn gelegentlich sich selbst überlassen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, aber ich
habe mit meiner Aufwartefrau vereinbart, daß sie kommt, wenn ich
einmal ausgehen will. Sie ist eine sehr zuverlässige Frau. Ich war
von einer Freundin zu einer Party eingeladen, aber ich habe es mir
anders überlegt.«
»Doch nicht etwa meinetwegen?« fragte Shane überrascht.
»Ihretwegen«, bestätigte sie.
Einen Augenblick lang herrschte ein verlegenes
Schweigen zwischen ihnen, bis dann plötzlich ein aufgeregtes
Winseln und ein kratzendes Geräusch an der Tür zu hören
war.
Sie lachte hell auf. »Oh, dieser Hund. Er sollte unten auf den Wagen aufpassen.«
Sie öffnete die Tür, und wie ein schwarzer
Schatten schlüpfte der Dobermann ins Zimmer und schnüffelte
mißtrauisch an Shanes Beinen, bevor er sich seiner Herrin zu
Füßen legte.
Aus einem ihm unerklärlichen Grund erwachten in
Shane wieder plötzlich alle Lebensgeister. Er griff nach seiner
Jacke und sagte: »Anscheinend habe ich Ihre Pläne für
diesen Abend verdorben. Gibt es irgendwo ein nettes Lokal, das Sie
mögen, wo wir etwas trinken können und man vielleicht sogar
tanzen kann?«
Sie lächelte. »Das hört sich gut an.
Die Einladung nehme ich gerne an.« Einen Augenblick lang schien
sie zu überlegen und nickte dann. »Mir fällt da genau
das richtige ein. Es ist ein Rasthaus etwa fünf Meilen vor der
Stadt. An Wochentagen ist es dort immer angenehm ruhig und
gemütlich.«
»Sicher genau das, was wir brauchen«, sagte er und zog seinen Mantel an.
Er öffnete die Tür und trat beiseite, um ihr
den Vortritt zu lassen. Sie blieb vor ihm stehen und berührte
leicht die Ausbuchtung über dem Griff der Pistole in seiner
Jackentasche. »Müssen Sie das wirklich mitnehmen?«
Er zögerte, dann ging er zurück ins Zimmer
und schob die Luger unter das Kopfkissen. Sie erwartete ihn
lächelnd an der Tür und schob eine Hand unter seinen Arm.
»Danke«, sagte sie einfach. Er schloß die Tür
ab, und sie verließen das Hotel.
Die Sicht war noch immer schlecht, und sie fuhr
langsam und vorsichtig aus der Stadt hinaus. Als sie den Berg
überwunden und den Talkessel verlassen hatten, in dem die Stadt
lag, lichtete sich der Nebel, und die Sicht wurde besser.
Der rote Schein der Neonreklame kündete das
Rasthaus schon von weitem an, lange bevor sie es erreichten. Es war ein
flaches, weitläufiges Gebäude mit einem großen
Parkplatz davor. Laura Faulkner lenkte den Wagen durch die Toreinfahrt
und hielt an. »Was machen Sie mit dem Hund?« fragte Shane.
Sie lächelte. »Ich lasse ihn im Wagen. Wir
können ohnehin nicht sehr lange bleiben. Spätestens um
Mitternacht muß ich
wieder zu Hause sein.«
Sie betraten das Lokal. Einige Paare tanzten auf der
kleinen Tanzfläche. Ein Kellner führte sie an einen Ecktisch,
und Shane bestellte zwei Martinis. Er bot Laura Faulkner eine Zigarette
an und seufzte. »Es ist schön hier, wirklich sehr
schön. Es ist eine Ewigkeit her, seit ich zum letztenmal so ein
Lokal besucht habe.«
Sie legte behutsam eine Hand auf seinen Arm. »Sie sehen erschöpft aus.«
Er nickte. »Es war ein anstrengender Tag für mich.«
Ein Schatten legte sich auf ihr Gesicht. »Haben Sie – haben Sie irgend jemanden gesehen?«
Er lachte bitter. »Irgend jemanden? Ich habe sie alle gesehen. Gesehen und mit ihnen gesprochen.«
Ihre Augen weiteten sich, und ein ungläubiger
Ausdruck erschien auf ihrem Gesicht. Nach einer Weile fragte sie
zögernd: »Wollen Sie mir nicht mehr erzählen?«
Er zuckte mit den Schultern. »Warum sollte ich
nicht? Möchten Sie vorher noch einen Drink?« Sie
schüttelte verneinend den Kopf, und er lehnte sich in seinen
Sessel zurück und begann zu erzählen.
Er berichtete von seinem Besuch bei Charles Graham,
schilderte dann alle anderen Erlebnisse dieses Tages und endete mit
einem Bericht über seine zweite Begegnung mit Adam Crowther. Das
einzige, was er überging: Er erwähnte mit keinem Wort die
schlurfenden Schritte.
Als er geendet hatte, saß sie eine Weile
schweigend und nachdenklich da, bis sie schließlich zögernd
sagte: »Ich kann nicht erkennen, daß Sie irgendwie
weitergekommen sind. Sie haben alle drei Überlebenden von damals
gesprochen. Einer von ihnen muß es gewesen sein, aber was hilft
Ihnen das schon? Können Sie ehrlich behaupten,
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