Dunkler Fremder
die Dunkelheit hinaus.
Pater Costello hinter ihm hüstelte und fragte dann leise:
»Und ist das alles?«
Shane nickte langsam und wendete sich dem Pater zu.
»Das war alles, Pater«, bestätigte er. »Alles,
bis zu dem Augenblick, in dem ich hinter dem Müllkübel in
dieser Seitengasse wieder zu mir kam.«
Der Geistliche runzelte die Stirn. Seine schlanken
Finger trommelten lautlos auf die Schreibtischplatte. »Das ist
eine seltsame Geschichte«, sagte er, »eine sehr seltsame
Geschichte.«
»Aber glauben Sie mir, Pater?« fragte
Shane verzweifelt. »Das ist jetzt entscheidend für
mich.«
Pater Costello blickte ihn forschend an und
lächelte dann unvermittelt. »Ja, ich denke, ich kann Ihnen
glauben. Fragen Sie mich nicht, warum, aber ich glaube nicht, daß
Sie das Mädchen ermordet haben.«
Zutiefst erleichtert seufzte Shane auf. »Gott
sei Dank, daß Sie das tun, Pater. Ich fing schon an, mich zu
fragen, ob die Meinung, welche die anderen von mir haben, nicht doch
zutrifft.«
Pater Costello nickte verständnisvoll und sagte dann nüchtern:
»Das ist alles schön und gut, aber das
führt uns noch zu keiner Lösung. Wenn Sie nicht der
Täter gewesen sind, wer hat dann Jenny Green getötet?«
Shane schüttelte den Kopf und seufzte wieder.
»Ich wünschte, ich wüßte es, Pater. Ich
wünschte wirklich, ich wüßte es.« Er wollte sich
schon abwenden, doch dann kam ihm unvermittelt eine Eingebung, und er
schlug mit der Faust in die offene Hand. »Es gibt nur eine
einzige Möglichkeit, wie ich die Lösung finden kann«,
sagte er aufgeregt.
Der Geistliche neigte sich vor. Seine Augen verrieten sein Interesse. »Und welche wäre das?«
Mit zitternden Händen zündete Shane sich
eine Zigarette an. »Wenn ich noch bei Verstand und
einigermaßen ausgeglichen und normal bin, dann muß der Mann
mit dem Klumpfuß existieren. Er war keine Ausgeburt meiner
Phantasie. Er war Teil des vorsätzlichen Versuchs, mich glauben zu
machen, daß ich nicht bei Verstand bin.«
»Aber wie soll Ihnen das weiterhelfen?« drängte Pater Costello.
Shane runzelte die Stirn. »Mir ist gerade eine
ganz einfache Lösung eingefallen, wie ich feststellen kann, wer
das gewesen ist.« Er drehte sich um und griff nach dem Notizblock
und einem Bleistift, die auf dem Schreibtisch lagen. »Es steckt
da einiges dahinter, aber zu viel, als daß ich es Ihnen jetzt
erklären könnte. Sie müssen mir vertrauen, Pater.«
Er kritzelte einen Namen und eine Adresse auf den
Block und schob ihn dem Geistlichen hin. »Ich möchte,
daß Sie mir genau eine Stunde Zeit lassen, Pater. Nicht mehr und
nicht weniger. Dann möchte ich, daß Sie Inspektor Lomax von
der Kriminalpolizei anrufen und ihm sagen, daß ich unter dieser
Adresse zu finden bin.«
Pater Costello las überrascht die Adresse, und
als er den Kopf hob, stand Ratlosigkeit auf seinem Gesicht.
»Wissen Sie wirklich, was Sie unternehmen wollen?«
Shane nickte nachdrücklich. »Wollen Sie das für mich tun, worum ich Sie bitte?«
Der Geistliche las die Adresse aufmerksam,
schließlich seufzte er. »Eine Bedingung muß ich Ihnen
stellen.« Er blickte Shane fest in die Augen. »Es darf
niemand getötet werden. Darauf muß ich Ihr Ehrenwort
haben.«
Shane zögerte. Er schien zu überlegen,
schließlich hob er die Schultern. »Also gut, Pater. Ich
akzeptiere Ihre Bedingung.«
Er öffnete schon die Tür der Sakristei, als
der Geistliche sagte: »Noch einen Augenblick.« Er zog einen
Schlüsselbund aus seiner Tasche und warf ihn Shane zu. »Im
Hof hinter dem Haus finden Sie einen Wagen. Es ist kein sehr neues
Modell, fürchte ich, aber wenn Sie ihn nehmen, haben Sie eine
größere Chance durchzukommen als zu Fuß.«
Shane versuchte etwas zu erwidern, aber aus
irgendeinem Grund konnte er keine Worte bilden, und der Geistliche
sagte mit einem flüchtigen Lächeln und einer leichten
Handbewegung: »Viel Glück.« Shane schloß schnell
die Tür hinter sich und machte sich auf den Weg.
Er fuhr in schneller Fahrt durch die verlassenen
Straßen zum Stadtzentrum, und wenige Minuten, nachdem er die
Kirche verlassen hatte, parkte er den Wagen vor seinem Hotel. Der
Empfang war unbesetzt. Shane trat schnell näher und hob leise die
Klappe an dem Pult hoch. In dem winzigen Büro, das dahinterlag,
summte jemand leise vor sich hin, und er drängte sich durch die
halb offenstehende Tür und schloß sie hinter sich.
Vor dem Spiegel
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