Dunkler Fremder
Zigarette.«
Im Licht der Bahnsteiglampe war sein Gesicht bleich,
und er sah erschöpft aus. Dankbar zog er an der Zigarette, die
Lomax ihm zwischen die Lippen schob, und seufzte. »Das tut
gut.« Er lachte rauh auf. »Vermutlich tut einem alles gut,
wenn man das Stadium erreicht hat, in dem ich mich befinde.«
Lomax sagte begütigend: »Ich würde an
Ihrer Stelle nicht zu viel darüber nachdenken. Vielleicht hat die
Operation Erfolg. Sir Georg Hammond gilt als einer der besten
Gehirnchirurgen in Europa. In einer Woche werden Sie quicklebendig und
munter in Ihrem Hospitalbett liegen und sich fragen, weshalb Sie sich
so viele Sorgen gemacht haben.«
»Und danach werden Sie in der Lage sein, mich
vor Gericht zu stellen und mich für einen Mord hängen zu
lassen, den ich nicht begangen habe«, entgegnete Shane.
»Erfreuliche Aussichten.«
Lomax schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht, daß diese Gefahr für Sie besteht.«
Mit bleichem, wütendem Gesicht fuhr Shane zu ihm
herum. »Weil ich geistesgestört, weil ich
unzurechnungsfähig bin?« entfuhr es ihm unbeherrscht.
»Wollen Sie das damit sagen? Halten Sie die Aussicht,
lebenslänglich in Broadmoor zu sit
zen, für verlockender?«
Dem jungen Detektiv, an den Shane gefesselt war,
schien diese Auseinandersetzung peinlich, und er räusperte sich
vernehmlich. Lomax griff nach Shanes Ellbogen und sagte ruhig.
»Nun fangen Sie nicht wieder an, sich aufzuregen. Ich habe Ihnen
doch klar und deutlich gesagt, daß Sie meiner Meinung nach in
eine elende Situation geraten sind, und ich habe nach Kräften
versucht, Ihnen Ihre Lage zu erleichtern. Ich habe alles getan, um
Ihnen zu helfen.«
»Sie können mir nur auf eine Weise helfen. Klären Sie auf, wer Jenny Green ermordet hat.«
Lomax seufzte. »Davon sollten wir nicht noch
einmal anfangen. Das war alles, was ich in den vergangenen zwei Tagen
von Ihnen zu hören bekommen habe. Sie sind ein kranker Mann,
Shane. Sie brauchen Hilfe – ärztliche Hilfe.«
Shane sah in voller Verachtung an. »Das ist wohl
so ein Fall, wie Ihr Bullen ihn am liebsten habt. Alles eindeutig
geklärt und belegt. Kein Grund, sich weiter die Hacken
abzulaufen.«
Er wollte sich abwenden, aber Lomax faßte ihn am
Arm und hielt ihn zurück. Das Gesicht des Inspektors war
blaß, und seine Augen funkelten wütend. »Jetzt
hören Sie mir mal zu«, sagte er, »und hören Sie
mir genau zu. Es sollte Sie interessieren, daß ich die letzten
zwölf Stunden damit zugebracht habe, Ihre Darstellung
persönlich zu überprüfen. Ich habe jede Person
aufgesucht, mit der Sie in Kontakt gekommen sind, seit Sie hier in der
Stadt eingetroffen waren.«
»Und was haben Sie herausgefunden?« fragte Shane begierig.
Lomax zog seine Pfeife aus der Tasche und stopfte sie.
»Daß Reggie Steele sich noch in seinem Haus in Hampton
aufhielt, als der Mord geschah. Seine Freundin hat das
beschworen.«
In ohnmächtiger Wut hob Shane eine geballte Faust. »Die
würde das Leben ihrer Mutter aufs Spiel setzen, wenn man ihr
genug dafür bietet. Haben Sie ihr das nicht angesehen?«
»Wenn es Steele gewesen wäre, wie
hätte er so schnell nach Ihnen in die Stadt zurückkommen
können«, entgegnete Lomax. »Sie hatten ihm doch seinen
Wagen weggenommen.«
»Haben Sie mit Adam Crowther gesprochen?« fragte Shane.
Lomax nickte. »Er hat zugegeben, daß er
Sie angelogen hat. Er hat Reggie Steele im Garland Club aufgesucht,
aber nur um ihn zu warnen, daß Sie in der Stadt wären und
wahrscheinlich Ungelegenheiten machen würden. Um ganz offen zu
sein, Crowther erklärte mir, daß er zu der Überzeugung
gelangt sei, daß Sie nicht zurechnungsfähig seien.«
»Crowther könnte es aber gewesen
sein«, sagte Shane. »Alles trifft auf ihn zu. Er hinkt
sogar mit einem Fuß – er hat in Korea durch Erfrierungen
seine Zehen eingebüßt.«
Lomax schüttelte den Kopf. »An diesem Abend
hat er in der Universität über einer dringenden Arbeit
gesessen. Zugegeben, er hat dafür keine Zeugen, aber ich bin
überzeugt, daß er die Wahrheit gesagt hat.«
»Wie beruhigend«, erwiderte Shane
sarkastisch. »Das ist wirklich sehr beruhigend. Ihm glauben Sie
also auf sein Wort hin, nicht wahr? Aber warum, zum Teufel, sollte er
es nicht gewesen sein? Er hinkt, und der Mann, der mich in der Wohnung
niedergeschlagen hat, hinkte auch. Wodurch ist Crowther so besonders
glaubwürdig?«
Lomax seufzte tief auf. »Also gut,
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