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Dunkler Grund

Dunkler Grund

Titel: Dunkler Grund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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verlassen, daß ihr ausgerechnet die Wahrheit einfallen wird.«
    »Aber… wenn jemand in ihrem Haus ein Dieb ist, dann will sie das doch sicher wissen!« widersprach Hester.
    »Nicht unbedingt, vor allem dann nicht, wenn es sich nicht um das Hausmädchen handelt.«
    »Aber warum? Warum nur diese eine Brosche? Und warum ausgerechnet in meiner Tasche?«
    Sein Mund wurde schmal und verkniffen, aus seinem Blick sprach tiefe Besorgnis.
    »Ich weiß es nicht, aber die einzige Erklärung wäre, daß Sie die Brosche genommen haben, und das führt uns nicht weiter.«
    Sie begriff die furchtbare Bedeutung dessen, was er sagte. Man konnte von niemandem verlangen, ihr zu glauben, daß sie die Gelegenheit nicht genutzt und die Brosche gestohlen und dann, als Mary tot war, plötzlich kalte Füße bekommen und versucht hatte, sie zurückzugeben? Sie begegnete Rathbones Blick und wußte, daß er das gleiche dachte.
    Ob er ihr wirklich glaubte? Oder tat er nur so, weil es seine berufliche Pflicht war? Sie hatte das Gefühl, als würde die Realität ihr aus den Händen gleiten und der Alptraum wieder anfangen, die Isolation und die Hilflosigkeit, diese grenzenlose Verwirrung, die alles sinnlos erscheinen ließ und Zuversicht in Sekundenschnelle in Chaos verwandeln konnte.
    »Ich habe sie nicht genommen!« sagte sie, und ihre Stimme klang laut in der Stille. »Ich hatte sie nie gesehen, bis ich sie plötzlich in meiner Tasche fand! Und dann hab’ ich sie gleich Callandra gegeben. Was hätte ich auch sonst tun sollen?«
    Seine Hände schlossen sich um ihre; überraschend warm waren sie, wo es sie doch so fror. »Ich weiß, daß Sie die Brosche nicht genommen haben«, sagte er mit fester Stimme.
    »Und ich werde es beweisen. Aber es wird nicht leicht werden. Sie müssen sich auf eine harte Auseinandersetzung gefaßt machen!«
    Sie sagte nichts, bemühte sich, ihn ihre Angst nicht merken zu lassen.
    »Möchten Sie, daß ich Ihrem Bruder und Ihrer Schwägerin …«
    »Nein! Nein, bitte, erzählen Sie Charles nichts davon!« Sie sprach mit scharfer Stimme, und ein Ruck war durch ihren Körper gegangen. »Charles und Imogen dürfen es nicht erfahren!« Sie holte tief Luft. Ihre Hände zitterten. »Es wird schwer genug für ihn, wenn er später davon erfährt, aber lassen Sie uns zuerst dagegen kämpfen…«
    Er zog die Stirn in Falten. »Meinen Sie nicht, daß er es wissen sollte? Er würde Ihnen doch sicher gerne helfen, Ihnen Trost spenden.«
    »Sicher, er würde es gerne tun«, erwiderte sie mit einer grimmigen Mischung aus Zorn, Mitleid und Selbstschutz. »Aber er würde nicht wissen, was er glauben soll. Er würde ja gerne an meine Unschuld glauben, aber er wüßte nicht, wie er das anstellen soll. Charles ist ein sehr nüchterner Mensch. Er glaubt nichts, das er nicht versteht.« Sie wußte, wie streng sie mit ihrem Bruder ins Gericht ging, strenger als beabsichtigt, aber sie konnte nicht anders. »Es würde ihn nur bedrücken, und er könnte mir doch nicht helfen. Er würde sich verpflichtet fühlen, mich zu besuchen, und das wäre schrecklich für ihn.«
    Rathbone lächelte ganz schwach, ein sanfter Ausdruck seiner Resignation, eine Art Galgenhumor vielleicht.
    »Ich denke, Sie tun ihm Unrecht«, sagte er leise. »Aber das ist jetzt nicht so wichtig. Vielleicht können wir später darüber reden.« Er stand auf.
    »Was werden Sie unternehmen?« Sie hatte sich ebenfalls erhoben, ein bißchen hastig; sie stieß sich am Tisch. In ihrer Unbeholfenheit verlor sie das Gleichgewicht und mußte sich auf den Tisch stützen. »Wie geht es jetzt weiter?«
    Er stand ganz dicht vor ihr, so dicht, daß sie die Wolle seines Mantels riechen konnte und die Wärme seiner Haut spürte. Das Verlangen, von ihm in die Arme genommen zu werden, war plötzlich so übermächtig, daß ihr vor Scham das Blut ins Gesicht schoß. Sie richtete sich auf und trat einen Schritt zurück.
    »Man wird Sie hierbehalten«, antwortete er. »Und ich werde Monk losschicken, mehr über die Farralines in Erfahrung zu bringen und was wirklich passiert ist.«
    »Nach Edinburgh?« fragte sie ihn erstaunt.
    »Sicher. Ich fürchte, in London gibt’s für uns nichts mehr zu entdecken.«
    »Ach…«
    Er ging zur Tür und klopfte. »Wärterin!« Er drehte sich noch einmal um. »Kopf hoch!« sagte er leise. »Es gibt eine Antwort, und wir werden sie finden.«
    Sie zwang sich zu einem Lächeln. Sie wußte, er wollte sie nur trösten, und doch taten seine Worte ihre Wirkung. Sie

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