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Dunkler Grund

Dunkler Grund

Titel: Dunkler Grund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Verwirrung. »Oder, um’s vornehmer auszudrücken, damit Ihre Ladyschaft es auch kapiert: Die ha’m behauptet, ich hätte Geld für außerehelichen Geschlechtsverkehr genommen, und der komische Kauz in meinem Hinterzimmer hat Empfehlungen und Urkunden für Leute geschrieben, die welche gebraucht ha’m, aber nich’ auf legale Weise drangekommen sind. Kann prima mit der Feder umgehn, der Tarn. Kritzelt dir alles hin, was du brauchst: Besitzurkunden, Testamente, Vollmachten, Bescheinigungen. Du sagst, was du brauchst, er schreibt es dir, und den Unterschied erkennt nur ’n ausgefuchster Rechtsverdreher.«
    »Ich verstehe…«
    »Tatsächlich? Tust du das?« Ihre Lippen kräuselten sich. »Ich glaub’, daß du gar nix verstehst, du dusselige Kuh!«
    »Ich verstehe, daß ihr genauso hier sitzt wie ich«, gab Hester zurück. »Also seid ihr genauso dusselig. Und ihr seid nicht zum erstenmal hier. Sich zweimal erwischen lassen, das ist besonders dämlich.«
    Doris stieß einen Fluch aus. Marge lächelte freudlos. Tilly rollte sich am Ende der Pritsche zusammen. Offensichtlich rechnete sie mit einer Prügelei.
    »Du kriegst dein Fett schon noch«, drohte Doris finster. »Die stecken dich für’n paar Jahre nach Gold Bath Fields, da nähste dir die Finger blutig und frißt trocken Brot, ’n ganzen Sommer isses heiß und ’n ganzen Winter kalt, und mit ’ner vornehmen Tante wie dir quatscht sowieso keine.«
    Marge nickte. »Das stimmt«, sagte sie traurig. »Die halten dich stille. Keine Gespräche. Aber dafür Masken.«
    »Masken?« Hester verstand sie nicht.
    »Masken«, wiederholte Marge und legte eine Hand vors Gesicht. »Masken, damit du niemand sehen kannst.«
    »Aber warum?«
    »Was weiß ich? Damit’s dir noch dreckiger geht, nehm’ ich an. Damit du allein bist und von niemand schlimme Dinge lernen kannst. Is’ ’ne ganz neue Methode.«
    Die Geschichte wuchs sich allmählich zu einem Alptraum aus. Hester erstickte beinahe an einer Mischung aus Wut und Mitleid und dem heftigen Wunsch, dem Ganzen zu entkommen. Das Herz schlug ihr ganz oben im Hals, und ihre Knie wurden weich, obwohl sie auf der Pritsche lag. Sie hätte jetzt nicht aufstehen können, selbst wenn sie gewollt und es einen Grund dafür gegeben hätte.
    »Is dir schlecht?« fragte Doris und lächelte. »Wirst dich dran gewöhnen. Und glaub’ bloß nich’, daß du die Pritsche kriegst, weil du se nämlich nich’ kriegst. Marge geht’s wirklich schlecht. Marge kriegt die Pritsche. Sie war sowieso eher hier.«
    Früh am nächsten Morgen wurde Hester zum Zivilgericht gebracht, wo man Untersuchungshaft anordnete. Man fuhr sie nach Newgate ins dortige Gefängnis und steckte sie zu zwei Taschendiebinnen und einer Prostituierten in die Zelle. Nach einer Stunde wurde ihr mitgeteilt, ihr Anwalt wäre gekommen, um mit ihr zu sprechen.
    Eine wilde Hoffnung stieg in ihr auf; der lange Alptraum schien vorbei. Sie sprang auf und wäre beinahe über ihre eigenen Füße gestolpert, so eilig hatte sie es, zur Tür und durch den kahlen, steinernen Gang zu dem Zimmer zu kommen, in dem Rathbone auf sie wartete.
    »Heda!« rief die Wärterin streng und verzog das harte, grobe Gesicht. »Reißen Sie sich zusammen! Kein Grund zur Aufregung. Ein Gespräch, sonst nichts. Sie bleiben bei mir und reden nur, wenn Sie gefragt werden.« Sie hakte Hester unter und stampfte mit ihr davon.
    Vor der nächsten großen Eisentür blieben sie stehen. Die Wärterin nahm einen riesigen Schlüssel von der Kette an ihrem Gürtel, steckte ihn ins Schloß und drehte ihn um. Leise öffnete sich die Tür unter dem Druck ihrer mächtigen Arme. Der Raum dahinter war weißgestrichen, hell und einigermaßen freundlich. Auf der anderen Seite des einfachen Holztisches stand Oliver Rathbone hinter einem Stuhl. Auf ihrer Seite stand ein leerer Stuhl.
    »Hester Latterly«, sagte die Wärterin und lächelte Rathbone schüchtern an. Ein etwas mißglückter Versuch; es stand ihr frei, charmant zu sein oder auch ihn – wie die Insassinnen – als Feind zu betrachten. Nach einem Blick auf seine makellose Kleidung, die blankgeputzten Schuhe und die gepflegte Frisur entschied sie sich für Charme. Doch als sie sah, wie er Hester anschaute, erstarrte etwas in ihr, und das Lächeln wurde zur harten, leblosen Maske.
    »Klopfen Sie, wenn Sie raus wollen«, sagte sie kühl, und nachdem Hester eingetreten war, knallte sie die Tür so heftig zu, daß der Widerhall von Eisen auf Stein in den Köpfen

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