Dunkler Grund
klammerte sich daran, zwang sich, ihm zu glauben.
»Natürlich. Vielen Dank…«
Mehr konnten sie sich nicht sagen, denn der Schlüssel drehte sich bereits im Schloß, und die Wärterin erschien mit grimmiger, unerbittlicher Miene.
Vor dem Besuch bei Monk, dem Rathbone mit äußerst gemischten Gefühlen entgegensah, kehrte er in seine Kanzlei an der Vere Street zurück. Bei seinem Gespräch mit Hester war wenig Brauchbares herausgekommen, und es hatte ihn stärker als vermutet strapaziert. Es war immer schwerer, Klienten zu besuchen, die eines Verbrechens beschuldigt wurden. Natürlich hatten sie Angst, standen unter Schock. Selbst wenn sie schuldig waren, die Festnahme und die Inhaftierung kamen meist überraschend. Und wenn sie unschuldig waren, dann kam die Verwirrung dazu und das verheerende Gefühl, den Ereignissen hilflos ausgeliefert zu sein.
Er hatte Hester schon zornig gesehen, voller Wut über Ungerechtigkeit und Sorge um andere Menschen, der Verzweiflung nahe, aber noch nie hatte sie um sich selbst Angst haben müssen. Irgendwie war sie immer Herrin der Lage geblieben, solange ihre eigene Freiheit nicht auf dem Spiel stand.
Er zog den Mantel aus und gab ihn dem Kanzleidiener. Hester hatte wenig Geduld mit der Dummheit; sie war stets bereit, dagegen zu rebellieren. Das war eine beunruhigende, äußerst unattraktive Eigenschaft bei einer Frau; von der Gesellschaft wurde so etwas keinesfalls toleriert. Er mußte lächeln bei dem Gedanken an die Reaktion der angesehenen Damen aus seiner Bekanntschaft. Er konnte sich die Bestürzung auf ihren vornehmen Gesichtern lebhaft vorstellen. Ein wenig beunruhigte es ihn, auch wenn seine Selbstironie ihn noch breiter lächeln ließ, daß er gerade diese Eigenschaft an Hester besonders mochte. Sanftere, konventionellere Frauen waren bequemer, nicht so bedrohlich für sein Selbstverständnis, seine Ansichten und seine gesellschaftlichen und beruflichen Ambitionen; aber solche Frauen gingen ihm schnell wieder aus dem Sinn, wenn er sich von ihnen. getrennt hatte. Sie ließen ihm seinen Frieden, aber sie gaben ihm auch nichts. Er wurde dieses Friedens überdrüssig, trotz seiner scheinbaren Vorteile.
Geistesabwesend dankte er dem Kanzleidiener, ging an ihm vorbei in sein Büro, zog die Tür hinter sich zu und setzte sich an den Schreibtisch. Er durfte nicht zulassen, was sie mit Hester machten. Er war einer der besten Anwälte Englands, der ideale Mann, um sie zu schützen und diese absurde Beschuldigung vom Tisch zu fegen. Es störte ihn, daß er auf Monk angewiesen war, wenn er die ganze Wahrheit herausfinden wollte oder zumindest soviel davon, um Hesters Unschuld zu beweisen – ohne den Schatten eines Zweifels. Aber dazu brauchte er Tatsachen.
Dabei lehnte er Monk nicht wirklich ab, jedenfalls nicht ganz und gar. Der Mann hatte einen scharfen Verstand, viel Mut und auf seine Weise – sogar etwas Ehrgefühl: Selbst die Tatsache, daß er abweisend, meist recht ungehobelt und stets arrogant war, sprach – für sich genommen – nicht unbedingt gegen ihn. Er war eben kein Gentleman, trotz seines selbstsicheren Auftretens, seiner Eleganz, seiner geschliffenen Sprache. Der Unterschied war schwer zu beschreiben, aber es gab ihn. In dem Mann gärte eine Aggressivität, deren Rathbone sich stets bewußt war. Und es war höchst ärgerlich, wie er sich Hester gegenüber benahm.
Hester!
Hesters Wohlergehen war das einzige, was im Moment zählte. Seine eigenen Gefühle Monk gegenüber spielten keine Rolle. Er würde einen Boten nach ihm schicken, und während er auf ihn wartete, wollte er genügend Geld besorgen lassen, um ihn noch mit dem Nachtzug nach Edinburgh zu schicken, mit dem Auftrag, so lange dortzubleiben, bis er herausgefunden hatte, welche Mißgunst, welche Zwänge – finanzielle oder emotionale – es im Haus der Farralines gab, die zu diesem lächerlichen Stand der Dinge geführt hatten. Er klingelte dem Kanzleidiener, und als die Tür sich geöffnet und er bereits Luft geholt hatte, um etwas zu sagen, sah er das Gesicht des Mannes.
»Was ist denn, Clements? Stimmt etwas nicht?«
»Die Polizei, Sir. Sergeant Daly möchte mit Ihnen reden.«
»Aha.« Wahrscheinlich war die Beschuldigung zurückgenommen worden, und er mußte erst gar nicht nach Monk schicken lassen. »Er soll hereinkommen, Clements.«
Clements biß sich auf die Lippen, mit unglücklicher Miene kam er der Aufforderung nach.
»Ja?« fragte Rathbone hoffnungsvoll, als Daly steif und traurig in
Weitere Kostenlose Bücher