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Dunkler Grund

Dunkler Grund

Titel: Dunkler Grund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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oft genug ungerecht gewesen seinen Untergebenen gegenüber, überkritisch, viel zu schnell mit Verurteilungen und Schuldzuweisungen bei der Hand.
    Aber es hatte keinen Sinn, in der Vergangenheit herumzuwühlen, und zudem tat es weh. Die Zukunft hatte er selber in der Hand. Er würde herausfinden, wer Mary Farraline getötet hatte und warum, und er würde es auch beweisen. Abgesehen von seinem eigenen Stolz – Hester verdiente es. Sie war oft töricht, fast immer rechthaberisch, bissig, eigensinnig und launenhaft, aber sie war absolut ehrlich. Alles, was sie über die Rückreise aus Edinburgh erzählt hatte, entsprach der Wahrheit. Um einen Fehler zu bemänteln, würde sie sich nicht einmal selber etwas vorlügen, geschweige denn jemand anderem. Und das war eine seltene Eigenschaft, bei Männern wie bei Frauen.
    Natürlich hatte sie die Frau nicht getötet. Welch lächerlicher Gedanke! Vielleicht hätte sie im Zorn jemanden töten können, sie besaß sicherlich die Kraft und die Leidenschaft dazu – aber aus kalter Berechnung? Und wenn sie einen Menschen so abscheulich gefunden hätte, um ihn zu töten, dann gewiß nicht auf diese Weise. Sie hätte ihm dabei ins Gesicht gesehen, ihm vielleicht etwas auf den Kopf geschlagen, ihn erstochen – aber niemals hätte sie jemanden im Schlaf vergiftet. Heimtücke war ihr fremd – sie besaß vor allem Mut.
    Und ob sie Mut besaß! Er starrte aus dem Fenster in die fließende Dunkelheit des Landes, während der Zug durch die heimatlichen Grafschaften in Richtung Norden rumpelte. Er saß ziemlich unbequem, eingezwängt zwischen einem dünnen Mann im grauen Anzug, der versuchte, durch einen Kneifer, der auf seiner Nasenspitze balancierte, die Zeitung zu lesen, und einem kleinen Mann mit Schmerbauch, der bereits eingeschlafen war. Gegenüber diskutierten zwei jüngere Männer emotionslos über den Zustand der Staatsfinanzen.
    Hester würde diese Geschichte überleben. Auf der Krim hatte sie Schlimmeres erleiden müssen, körperliche Strapazen von größeren Ausmaßen, schreckliche Kälte, Hunger, Wochen ohne ausreichend Schlaf, dazu die ständige Gefahr von Verwundung oder Krankheit oder beidem. Sie hatte auf dem Schlachtfeld gestanden, in Hörweite der donnernden Geschütze und allemal in ihrer Reichweite! Da würde sie doch ein oder zwei Wochen in Newgate überleben! Es war lächerlich, Angst um sie zu haben. Sie war keine gewöhnliche Frau, die in einer Notlage zu weinen anfing oder in Ohnmacht fiel. Natürlich würde sie leiden, sie war so empfindsam wie jede andere auch, aber sie würde über ihrem Leiden stehen.
    Und seine Aufgabe war es, zu den Farralines zu reisen und die Wahrheit herauszufinden.
    Doch als der Abend zur Nacht geworden war und die Passagiere um ihn herum eingeschlafen waren, verließ ihn seine Zuversicht; ihn fror, er wurde immer steifer und müder, und bald sah er nur noch die Schwierigkeiten, die es bereiten würde, in einem trauernden Haushalt, in dem ein Mitglied sich des Mordes schuldig gemacht hatte, etwas Brauchbares herauszufinden – zumal sie in einer Fremden, die bereits inhaftiert war, den perfekten Sündenbock gefunden hatten.
    Gegen Morgen tat ihm der Rücken weh; seine Beine waren ganz steif, und er fror so erbärmlich, daß er die Füße kaum noch spürte. Seine Stimmung war auf dem Nullpunkt angekommen.
    In Edinburgh war es bitterkalt, aber es regnete wenigstens nicht. Ein eisiger Wind heulte durch die Princes Street. Monk konnte keinerlei Interesse für Geschichte und architektonische Schönheiten aufbringen; er war heilfroh, als er eine Kutsche angehalten und dem Fahrer die Adresse der Farralines am Ainslie Place genannt hatte.
    Vom Gehsteig aus machte das Haus einen imposanten Eindruck. Wenn es ihnen gehörte und nicht mit Hypotheken belastet war, dann ging es den Farralines, zumindest was das Finanzielle betraf, außerordentlich gut. Außerdem zeugte es, nach Monks Ansicht, von ausgezeichnetem Geschmack. Der ganze Platz in seiner klassischen Schlichtheit machte großen Eindruck auf ihn.
    Aber das war jetzt nebensächlich. Er mußte sich auf die bevorstehende Aufgabe konzentrieren. Er stieg die Stufen hinauf und zog an der Glocke.
    Die Tür öffnete sich, und ein Mann, der seiner Miene nach Leichenbestatter sein mußte, betrachtete ihn ohne das geringste Interesse.
    »Sie wünschen, Sir?«
    »Guten Morgen«, erwiderte Monk kühl. »Ich heiße William Monk. Ich komme in einer wichtigen Angelegenheit aus London zu Ihnen und hätte gerne

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