Dunkler Grund
plötzlich heftig mit jemandem zusammen.
»Verzeihung!« entschuldigte er sich.
»Ja, ja, passen Se mal besser auf, bevor Se ’n armen Teufel umrennen vor lauter Löcher inne Luft gucken!« kam die Antwort in einem Dialekt, der für Monk kaum noch nach Englisch klang, den er aber trotzdem mühelos verstand. »Ham Se sich verlauf’n?« fragte der Mann freundlicher, nachdem er in Monk den Fremden erkannt und ihm seine Unachtsamkeit nachgesehen hatte. Ausländer waren nicht ganz richtig im Kopf, von denen durfte man kein normales Verhalten erwarten. »Sie sind hier im Grassmarket, in den Templelands.«
»Templelands?« fragte Monk schnell.
»Ja. Wissen Se denn überhaupt, wo Se hinwolln?« Er war jetzt sehr hilfsbereit, wie jeder brave Mann, der zu spüren glaubt, daß da einer nicht auf sich selber aufpassen kann.
Monk fühlte sich zu einem Lächeln verpflichtet. »Ich suche eine Unterkunft.«
»Ach, ja? Nun, bei William Forster wern Se schon’n ordentliches Zimmer finden, unten auf Nummero zwanzig, und gleich nebenan hat McEwan seinen Bäckerladen, ’n Gasthof mit Pferdestall hatter, der gute Willie. Steht aufm Schild draußen am Haus. Können Se nicht verfehl’n, wenn Se Augen im Kopf ham.«
»Besten Dank, guter Mann.«
»Keine Ursache!«
Monk überquerte die Straße und ging weiter, bis er es sah: WM. FORSTER, GASTHOF UND PFERDESTALL war zwischen dem zweiten und dem dritten Stockwerk eines großen Hauses zu lesen; rechts davon stand der Namenszug von McEwans Bäckerei. Das Haus war vier Stockwerke hoch, die beiden untersten aus solidem Naturstein mit großen Fenstern, die auf geräumige Zimmer hinzudeuten schienen. Aus mehreren der hohen Kamine stieg Rauch auf – ein vielversprechendes Zeichen. Da er kein Pferd hatte, ging er nicht durch den Torbogen in den Hof, sondern klopfte gleich an der Vordertür.
Fast augenblicklich öffnete ihm eine beleibte Frau, die sich hastig die Hände an der Schürze abrieb. »Ja?«
»Ich suche eine Unterkunft«, antwortete Monk. »Vielleicht für eine Woche oder zwei. Haben Sie ein Zimmer frei?«
Sie musterte ihn schnell, schätzte ihn ein, wie es zu ihrem Geschäft gehörte.
»Ja, hab’ ich.« Offensichtlich war sie mit ihm einverstanden.
»Kommen Se rein, ich zeig’s Ihnen.« Sie trat auf die Seite, um ihn einzulassen, und er folgte ihr.
Drinnen war es eng und nur spärlich erleuchtet, aber es roch sauber, und die Luft war warm und trocken. In der Küche trällerte jemand ein Lied, laut und hin und wieder falsch, aber es war ein fröhliches Lied, und er empfand es als einladend. Sie führte ihn drei Treppen hoch, schnaufte und stöhnte dabei und blieb auf jedem Absatz stehen, um Luft zu holen.
»Da ist es«, sagte sie zwischen zwei Schnaufern, als sie auf dem obersten Treppenabsatz angekommen waren, und stieß die Tür zu dem Zimmer auf, das er bewohnen sollte. Es war sauber und luftig und blickte auf den Grassmarket und die Dächer auf der anderen Straßenseite hinaus.
»Ja«, sagte er, ohne zu zögern. »Es gefällt mir sehr gut.«
»Kommen Se ganz von England rauf?« erkundigte sie sich leutselig.
Es hörte sich an, als wäre es ein fremdes Land; strenggenommen war es das ja auch.
»Ja.« Es war eine Gelegenheit, die er nicht ungenutzt lassen wollte. Es galt, keine Zeit zu verlieren. »Ja. Ich bin Rechtsberater.« Das stimmte zwar nicht ganz, aber er schien ihm besser, als sich in die Nähe der Polizei zu rücken. »Ich bereite hier einen Prozeß vor, in dem es um den Tod von Mrs. Farraline geht.«
»Is die tot?« fragte die Frau verwundert. »Wie iss’n das passiert? Na ja, war ja nich’ mehr die Jüngste, was’n Wunder also. Und jetzt woll’n die das Testament anfechten, stimmt’s?«
In ihrem Gesicht stand Interesse, und natürlich fand ihre Vermutung Monks Aufmerksamkeit.
»Nein. Ich sollte die Sache lieber nicht an die große Glocke hängen, Mrs. Forster…« Er ließ es auf einen Versuch ankommen und wurde nicht enttäuscht. »Aber ich nehme an, Ihnen muß man sowieso nichts erzählen, oder?«
Ein wissendes Lächeln erstrahlte auf ihrem Gesicht. »Geld is nich’ immer’n Segen, was, Mr….?«
»Monk. William Monk«, sagte er. »Da geht’s um einen Batzen Geld, was?«
»Na, das werden Se jawohl selber wissen, oder?« Ihre braunen Augen leuchteten vor Vergnügen.
»Noch nicht«, wich er aus. »Aber ich hab’ natürlich meine Vermutungen.«
»Na, und ob.« Sie nickte. »Diese riesige Druckerei, die gibt’s schon seit den zwanziger
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