Dunkler Grund
aus. »Und dann wäre es vielleicht nicht so gekommen.«
Er wandte sich wieder Rathbone zu; er wirkte traurig, aber gefaßt. »Selbstverständlich werde ich für ihre Verteidigung aufkommen, soweit es mir meine Mittel erlauben, Mr. Rathbone. Aber ich fürchte, sie sind sehr begrenzt, und ich darf meine Frau nicht der Unterstützung berauben, die ich ihr schuldig bin.« Er blickte unglücklich. »Ich weiß um Ihren Ruf. Vielleicht wäre es in der augenblicklichen Situation besser, den Fall jemandem zu übertragen, der…« Er suchte nach einem passenden Ausdruck, aber ihm fiel keiner ein.
Rathbone kam ihm zu Hilfe. Es machte ihm keinen Spaß zuzusehen, wie der Mann sich abstrampelte – auch wenn er wenig Sympathie für ihn empfand –, und er war ungeduldig.
»Ich danke Ihnen für das Angebot, Mr. Latterly, aber Ihre finanzielle Hilfe wird nicht nötig sein. Meine Sympathie für Ihre Schwester ist mir ausreichende Entschädigung. Sie können ihr am besten helfen, indem Sie zu ihr gehen und ihr persönlich beistehen, durch Trost und Zuspruch und Ihre Loyalität. Sie dürfen nicht verzweifeln, sonst können Sie ihr keine Kraft geben. Niemals, unter keinen Umständen, dürfen Sie ihr das Gefühl geben, daß Sie mit dem Schlimmsten rechnen.«
»Natürlich nicht«, sagte Charles langsam. »Sie haben recht. Sagen Sie mir, wo sie ist, dann werde ich sie besuchen – das heißt, wenn man mich zu ihr läßt.«
»Als Familienangehörigen wird man sie selbstverständlich zu ihr lassen«, antwortete Rathbone. »Sie ist in Newgate.«
Charles zuckte zusammen. »Verstehe. Was darf ich ihr mitbringen. Was braucht sie?«
»Vielleicht hat Ihre Frau ein paar Kleider und Wäsche zum Wechseln für sie. Sie hat dort nicht die Möglichkeit zu waschen.«
»Meine Frau? Nein… nein, Imogen nehme ich nicht mit. An einen solchen Ort wie Newgate! Es würde sie furchtbar aufregen. Ich suche selber ein paar Kleider für Hester zusammen.«
Rathbone wollte protestieren, doch als er Charles’ verschlossenes Gesicht sah, die geschürzten Lippen, den eigensinnigen Blick, da erkannte er, daß es Unterströmungen in dieser Beziehung gab, Tiefen in Charles’ Persönlichkeit, von denen er nichts ahnte. Jeder Streit wäre sinnlos. Von einem widerwilligen Besuch hatte Hester nichts, und ihm ging es nur um Hester.
»Gut«, sagte er kühl. »Sie müssen tun, was Sie für richtig halten.« Er richtete sich auf. »Noch einmal, Mr. Latterly, es tut mir sehr leid, Ihnen diese bestürzenden Nachrichten bringen zu müssen, aber seien Sie versichert, daß ich alles in meiner Macht Stehende tun werde, um Hester vollständig von der Beschuldigung zu entlasten und dafür zu sorgen, daß sie bis dahin den Umständen entsprechend gut behandelt wird.«
»Ja… ja, sicher. Danke, Mr. Rathbone. Ich weiß es zu schätzen, daß Sie persönlich gekommen sind. Und…«
Rathbone wartete, schon halb der Tür zugewandt, die Augenbrauen hochgezogen. Charles war nicht wohl in seiner Haut. »Danke, daß sie Hester ohne Honorar verteidigen wollen. Ich… wir… wir sind Ihnen zu größtem Dank verpflichtet.«
Rathbone machte eine leichte Verbeugung. »Es ist mir eine Ehre, Sir. Ich wünsche einen guten Tag.«
»Guten Tag, Sir.«
Gegen Viertel vor neun traf Rathbone am Bahnhof ein. Es war ziemlich sinnlos. Was sollte er Monk noch mit auf den Weg geben? Und doch wollte er ihn noch einmal sehen, und wäre es nur, um sich zu vergewissern, daß er auch tatsächlich im Zug saß. Es war laut auf dem Bahnsteig, Reisende standen frierend herum, einige verabschiedeten sich von Angehörigen, andere hielten Ausschau nach vertrauten Gesichtern. Rathbone schlängelte sich zwischen ihnen hindurch, den Mantelkragen gegen den kalten Wind hochgeschlagen. Wo war Monk? Der Teufel sollte den Mann holen! Warum war er auf jemanden angewiesen, den er so wenig mochte?
Eigentlich hätte er ihn in dem Gewühl erkennen müssen. Seine Gestalt war auffällig genug, er war ein Stück größer als der Durchschnitt. Wo, zum Teufel, mochte er stecken? Wohl zum fünftenmal blickte er auf die Bahnhofsuhr. Zehn vor neun. Vielleicht war er noch nicht da? Es war ja noch fast eine halbe Stunde Zeit. Sollte er nicht doch besser im Zug nachschauen?
Er stieg ein und schaute in jedes Abteil. Zwischendurch blickte er immer wieder aus dem Fenster, und bei einer dieser Gelegenheiten, etwa in der Mitte des Zugs, sah er Monk, der draußen auf dem Bahnsteig vorbeieilte.
Rathbone stieß einen Fluch aus, eine
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