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Dunkler Grund

Dunkler Grund

Titel: Dunkler Grund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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breitete sich auf ihrem Gesicht aus, und als sie ihn betrachtete, bemerkte er einen Anflug von Neugier in ihren Augen.
    »So tief meine Trauer auch ist, Mr. Monk, sie hat mich nicht um den Verstand gebracht und um die Einsicht, daß die Welt sich weiterdreht und die Dinge ihren Lauf nehmen. Bitte sagen Sie mir, auf welche Weise wir Ihnen helfen können. Ich nehme an, Sie wollen Befragungen durchführen, insbesondere des Personals.«
    »Auch das wird nötig sein«, bestätigte er. »Aber häufig verängstigt eine solche Tragödie das Personal, und dann kommt es zu widersprüchlichen Angaben. Es wäre äußerst nützlich, wenn ich zunächst mit den Angehörigen sprechen und die Dienstboten etwas später befragen könnte, nachdem die erste Angst sich gelegt hat. Ich möchte bei den Leuten den Eindruck vermeiden, daß ich sie verdächtige.«
    Diesmal war es ein freudloses, ein wenig bitteres Lächeln.
    »Tun Sie das denn nicht, Mr. Monk? Egal, wie überzeugt Sie von Miss Latterlys Schuld sind, es muß Ihnen doch der Gedanke gekommen sein, daß möglicherweise die Zofe meiner Mutter die Brosche gestohlen haben könnte.«
    »Natürlich ist mir dieser Gedanke gekommen, Mrs. McIvor.« Er erwiderte das Lächeln. »Mit ein bißchen Phantasie lassen sich die verschiedensten Möglichkeiten denken, so unwahrscheinlich sie auch sind. Und da die Verteidigung – die es zweifellos geben wird – Miss Latterlys Unschuld nicht beweisen kann, wird sie versuchen, einen anderen Schuldigen zu finden! Oder, im schlechtesten Fall, zu beweisen versuchen, daß jemand anders der Schuldige sein könnte, aufgrund eines Motivs oder einer Gelegenheit. Um dem vorzubeugen, bin ich gekommen.«
    »Dann sollten wir uns gleich an die Arbeit machen«, sagte sie mit Entschiedenheit. »Sie sind gerade erst angekommen. Ich nehme an, Sie wollen sich zuerst eine Unterkunft suchen und sich etwas ausruhen. Schließlich waren Sie die ganze Nacht unterwegs. Möchten Sie heute mit uns zu Abend essen? Dann können Sie den Rest der Familie kennenlernen.« Es war eine förmliche Einladung, aus rein pragmatischen Gründen ausgesprochen, und doch glaubte er ein tieferes Interesse bei ihr zu spüren.
    »Das wäre ausgezeichnet, ich danke Ihnen, Mrs. McIvor!« Er durfte sich nicht von zuviel Optimismus hinreißen lassen. Er hatte gerade erst angefangen und noch überhaupt nichts erfahren, aber die erste Hürde war mit erstaunlicher Leichtigkeit übersprungen. »Vielen Dank!«
    »Dann erwarten wir Sie um sieben«, sagte sie und neigte leicht den Kopf. »McTeer wird Sie hinausbringen, und falls er Ihnen mit Hinweisen behilflich sein kann, bitte fragen Sie ihn. Guten Tag, Mr. Monk.«
    »Guten Tag, Mrs. McIvor.«
    Monk hatte McTeer um Rat bei der Suche nach einer Unterkunft gebeten, und die herablassende Erwiderung des Butlers hatte ihn in seinem Stolz getroffen. McTeer hatte ihm ein paar Gasthöfe und Pensionen genannt, alle im älteren Teil der Stadt. Als Monk nach einer Adresse näher am Ainslie Place gefragt hatte, war er mit hochgezogenen Augenbrauen darüber aufgeklärt worden, daß in diesem Teil der Stadt keine derartigen Etablissements zu finden seien.
    Und so stand ein wütender Monk um zehn Uhr mit dem Koffer in der Hand in einer Straße mit hohen Mietshäusern zu beiden Seiten, dem sogenannten Grassmarket. Er hatte das deutliche Gefühl, in einer fremden Stadt zu sein. Geräusche und Gerüche waren anders als in London. Die Luft war kälter, nicht so schmutzig und roch nicht so stark nach Rauch, auch wenn die Hauswände ziemlich schwarz waren und aus den Dachrinnen rußiges Wasser tropfte. Die Pflastersteine waren die gleichen wie in London, aber die Gehsteige waren nur wenig höher als die Fahrbahn, die Rinnsteine waren seicht. Dafür war die Straße selbst so stark geneigt, daß das Wasser nach unten ablief.
    Er ging langsam und sah sich gründlich um. Die Häuser waren hauptsächlich aus Stein, was ihnen eine gewisse Würde und Solidität verlieh; fast alle waren drei oder vier Stockwerke hoch und endeten in einem Durcheinander von steilen Dächern mit Mansardenfenstern und Stufengiebeln, die wie Treppen in einem Meer von Dachziegeln wirkten. Auf einem dieser Giebel entdeckte er ein eisernes Kreuz, und als er sich ein wenig reckte, um besser sehen zu können, sah er noch mehr von diesen Kreuzen. Ganz sicher war das Haus keine Kirche und diente auch sonst keinem religiösen Zweck.
    Da er nicht auf den Weg geachtet, sondern nach oben geschaut hatte, stieß er

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