Dunkler Rausch der Sinne
wirkten warm und
freundlich.
»Sie sind jetzt weg, Süße. Wir brauchen uns ihr Gewinsel nie mehr
anzuhören.« Tyler streckte eine Hand aus, offensichtlich in der Erwartung, dass
Jaxon sie nehmen würde.
Jaxon trat vorsichtig einen Schritt zurück. Sie wollte Tyler nicht
beunruhigen. Offenbar war ihm nicht bewusst, dass er über und über mit Blut
bespritzt war. »Ich sollte eigentlich in der Schule sein, Onkel Tyler.« Ihre
Stimme klang nicht einmal in ihren eigenen Ohren unbefangen.
Seine Miene verfinsterte sich. »Du hast mich nicht mehr Onkel Tyler
genannt, seit du acht Jahre alt warst. Warum sagst du nicht mehr Daddy zu mir?
Deine Mutter hat dich gegen mich aufgehetzt, stimmt's?« Er kam näher.
Jaxon blieb ganz ruhig stehen, einen arglosen Ausdruck auf ihrem Gesicht.
»Niemand könnte mich je gegen dich aufhetzen. Das geht gar nicht. Und du weißt
doch, dass Mom nichts von mir wissen will.«
Tyler entspannte sich sichtlich. Er war nahe genug, um sie anzufassen.
Jaxon konnte das nicht zulassen; ihre mühsam aufrechterhaltene
Selbstbeherrschung würde in sich zusammenbrechen, wenn er sie mit Händen
berührte, an denen das Blut ihrer Familie klebte.
Sie
schlug ohne Vorwarnung zu, indem sie ihm ihre Faust direkt in die Kehle rammte
und ihm brutal in die Kniescheibe trat. Gleich darauf drehte sie sich um und
rannte los. Sie schaute nicht zurück. Sie wagte es nicht. Tyler war darauf
trainiert zu reagieren, auch wenn er verletzt war. Auf jeden Fall war sie verglichen
mit ihrem Stiefvater sehr klein. Ihr Schlag mochte ihn momentan betäuben, würde
ihn aber niemals außer Gefecht setzen. Mit etwas Glück hatte sie ihm mit ihrem
Tritt die Kniescheibe gebrochen, aber sie bezweifelte es. Jaxon rannte durch
das Haus zur Tür. Rebecca hatte es immer gefallen, im geschützten Bereich des
Marinestützpunkts zu leben, und Jaxon war jetzt dankbar dafür. Sie schrie aus
voller Kehle, als sie über die Straße zum Haus von Russell Andrews rannte.
Bernice, Russells Frau, kam besorgt herausgelaufen. »Was ist denn,
Liebes? Hast du dir wehgetan?«
Auch Russell kam und legte einen Arm um Jaxons schmale Schultern. »Ist
deine Mutter krank?« Im Grunde glaubte er nicht daran, dafür kannte er Jaxon zu
gut. Sie war immer ein sehr beherrschtes Kind gewesen, das jede Lage im Griff
hatte und selbst in Notfällen nicht den Kopf verlor. Wenn Rebecca krank
gewesen wäre, hätte Jaxon den Arzt angerufen. Im Moment war sie so blass, dass
sie wie ein Geist aussah. Grauen spiegelte sich in ihren Augen, und ihr Gesicht
war verzerrt vor Entsetzen. Russell blickte über die Straße zu dem stillen
Haus, dessen Tür weit offen stand. Der Wind blies, und die Luft war kalt und
frisch. Aus irgendeinem Grund überlief ihn beim Anblick des Hauses eine
Gänsehaut.
Russell wandte sich zur Straße um. Jaxon hielt ihn am Arm fest. »Nein,
Onkel Russell, geh nicht allein dahin. Du kannst ihnen nicht mehr helfen. Sie
sind tot. Ruf die Militärpolizei.«
»Wer ist tot, Jaxon?«, fragte Russell ruhig, der wusste, dass Jaxon ihn
nicht belügen würde.
»Mathew
und meine Mutter. Tyler hat sie getötet. Er hat
Moni gesagt, dass er auch
meinen Vater umgebracht hat. Er war in letzter Zeit so seltsam und so
gewalttätig. Er hat Mutter und Mathew gehasst. Ich habe versucht, es euch zu
sagen, aber keiner wollte mir glauben.« Jaxon vergrub das Gesicht in den Händen
und schluchzte. »Ihr wolltet nicht auf mich hören. Keiner wollte auf mich
hören.« Ihr war schlecht, und im Geist sah sie immer wieder die Szene im Haus
vor sich, so intensiv, dass sie glaubte, den Verstand zu verlieren. »Da war so
viel Blut! Er hat Mathew die Augen herausgedrückt. Wie konnte er so etwas tun ?
Mathew war doch noch ein kleiner Junge!«
Russell drückte sie Bernice in die Arme. »Kümmere dich um sie, Schatz.
Sie steht unter Schock.«
»Er hat alle getötet, meine ganze Familie. Er hat mir alles genommen.
Ich konnte sie nicht retten«, sagte Jaxon leise.
Bernice
drückte sie liebevoll an sich. »Keine Angst, Jaxon, jetzt bist du bei uns.«
Jaxon, sechzehn Jahre alt
»Hallo, meine Schöne.« Don
Jacobson beugte sich vor und zerzauste Jaxons wilde blonde Mähne. Er gab sich
Mühe, nicht zu besitzergreifend zu wirken. Jaxon zerriss jeden in der Luft, der
versuchte, ihr näher zu kommen. Sie hatte um sich herum eine Mauer errichtet,
die so hoch war, dass niemand in ihre Welt einzudringen vermochte. Seit dem Tod
ihrer Familie hatte Don sie nur lachen sehen, wenn sie mit
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