Dunkler Rausch der Sinne
Unterlegene. Aber er war groß und mächtig und würde
sich nicht von dem Glauben einer Frau an die Fähigkeiten ihres Gefährten
behindern lassen. Noch während er sich das sagte, wusste er, dass er sich
selbst auch schon von Lucian besiegt sah. Niemand konnte einen so mächtigen
Jäger vernichten oder ihm entkommen. Es war unmöglich.
Matias fluchte laut. Scharf und hässlich gellte seine Stimme durch die
klare Luft, die der stürmische Wind gebracht hatte. Er hörte den misstönenden,
schrillen Klang, den er nicht länger verbergen konnte. Er sah sich selbst
deutlich vor sich, das Fleisch, das von seinen Knochen fiel, die spitzen,
blutbefleckten Zähne, die leeren, toten Augen. Sein Kopf schwankte in dem
verzweifelten Versuch, das Bild zu verscheuchen, hin und her. »Hör auf damit!
Du bist es, der mir dieses Bild vorgaukelt! Besiegst du auf diese Art deine
Feinde ? Lucian der Große, Lucian der Mächtige. Du kämpfst nicht ehrenhaft. Du
benutzt Tricks und Illusionen.«
Einer der Klone rechts vom Vampir verbeugte sich leicht. »Glaubst du
etwa, mich beschämen zu können? Du hast keine Ehre, und es ist keine Ehre
nötig, um gegen einen wie dich anzutreten. Es wäre reine Zeitverschwendung.«
Das giftige Blut des Vampirs tropfte auf den Boden, breitete sich aus, suchte
nach Opfern. Langsam und unaufhaltsam bewegte es sich auf Jaxon zu, rückte
immer näher an ihre Füße heran. Der Vampir drehte sich im Kreis, um sein Blut
in weitem Bogen zu verspritzen und die Tropfen vom Wind tragen zu lassen.
Sofort hob ein anderer Klon einen Arm und machte eine nachlässige
Handbewegung. Der Wind legte sich, und die giftigen Blutstropfen fielen
wirkungslos auf den Boden. Die Papierpuppen in Lucians Gestalt bewahrten ihre
ausdruckslosen Mienen. Nichts schien sie zu berühren oder zu erschüttern.
Der Vampir kreischte vor Wut und Hass und drehte sich immer schneller
im Kreis, sodass er den Wind zu einem Wirbelsturm aufpeitschte, der mit voller
Kraft auf die Reihe der Klone prallte, die den Vampir umringten. Die Figuren
verblassten leicht, verschwanden aber nie ganz.
Der Angriff kam von oben. Ein Raubvogel stürzte über dem Vampir vom
Himmel, direkt in das Auge des Sturms.
Jaxon hielt sich die Ohren zu, als die Schreie immer schriller wurden
und so grauenhaft klangen, dass sie am liebsten geweint hätte. Tränen brannten
in ihren Augen und blieben an ihren Wimpern hängen. Sie wollte weglaufen, sich
in feinen Dunst auflösen und in der dichten Nebelbank verstecken. Zwar hatte
sie bedingungsloses Vertrauen zu Lucian und wusste, dass er den Vampir
vernichten würde, aber die unbekannten Laute und der Anblick eines solchen
Kampfes waren beängstigend.
Kaum hatte dieser Gedanke sie gestreift, als plötzlich ein Gefühl von
Wärme und Stärke ihr Inneres erfüllte. Es war eigenartig, wie stark sie miteinander
verbunden waren, wie es Lucian möglich war, um sein Leben zu kämpfen und
trotzdem genau zu wissen, wie ihr zumute war, und zu versuchen, ihr
beizustehen.
In diesem Augenblick wusste sie, dass sie ihn wirklich liebte. Sie war
nicht besessen oder verrückt oder hypnotisiert. Falls sie eine Wahl treffen
müsste, würde sie sich immer dafür entscheiden, bei ihm zu bleiben. Nicht
wegen der ungeheuren Anziehungskraft, die zwischen ihnen bestand, sondern
einfach deshalb, weil er war, wer er war. Lucian. Rücksichtsvoll und freundlich
und zärtlich. Sie liebte diesen Mann von ganzem Herzen.
Der Vampir schoss unter dem wirbelnden Tornado hervor und flog mit
messerscharfen gezückten Krallen direkt auf sie zu. Jaxon starrte ihn unbewegt
an, obwohl ihr Puls raste. Er wollte ihr das Herz aus dem Leib reißen, wollte
sie benutzen, um Lucian zu zerstören, seine einzige echte Chance auf Vergeltung
wahrnehmen. Sein abgezehrtes Gesicht war von tiefroten Striemen durchzogen; auf
seinem Hals zeichnete sich ein blutiger Streifen ab. Wo seine Augen gewesen
waren, gab es nur noch leere, leblose Höhlen, rohe Wunden, die der Zerstörer
geschlagen hatte.
In dem Moment, als der Vampir ganz nah bei ihr war, tauchte Lucian
lautlos vor ihr auf, ein fester Schutzschild, unbeweglich und undurchdringlich
und so still wie die Berge ringsum. Es ging so schnell, dass der Vampir keine
Zeit hatte umzukehren oder anzugreifen. Er spießte sich auf Lucians
ausgestreckter Hand auf.
Jaxon wandte den Blick von der furchtbaren Endgültigkeit der Szene ab,
aber das schmatzende Geräusch und die gellenden Schreie, die ertönten, als
Lucian das Herz aus
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