Dunkler Rausch der Sinne
Fähigkeiten
beeinträchtigten. Sofort dachte sie an Stärke und Macht, an Liebe und Erfüllung,
sodass in ihrem Denken für nichts anderes Platz blieb. Noch während sie sich
darauf konzentrierte, stellte sie fest, dass ihre Kraft zurückkehrte. Sie war
erneut in der Lage, die Partikel elektrischer Energie zu sammeln und auf die
Leichen zu richten, sodass nur feine Asche blieb, die vom Wind verweht wurde.
Jeder Tropfen Blut wurde gefunden und entfernt, jeder Hinweis auf die Existenz
von Vampiren oder Karpatianern ausgelöscht. Als es vorbei war, setzte Jaxon
sich auf die offene Wiese und ließ den reinigenden Regen über ihr
emporgewandtes Gesicht strömen. Der Wind trug alle Gedanken davon außer dem an
die Unterstützung Lucians in seinem Kampf gegen das schlimmste Monster von
allen.
Lucian wusste, dass der Vampir, den er durch frisch gegrabene Tunnel
verfolgte, extrem gefährlich war. Dieser hier war einer vom alten Stamm und
verfügte über unglaubliche Macht. Er hatte sich viele Jahrhunderte lang der
Gerechtigkeit entzogen und würde nicht leicht zu töten sein. Ohne zu
überlegen, gab er Jaxon auf dieselbe Art, wie er es immer bei Gabriel getan
hatte, Anweisungen. Stell dich ihm in den Weg. Er bewegt sich wieder in
Richtung Erdoberfläche und wird versuchen herauszukommen, ungefähr vierhundert
Fuß von den Felsvorsprüngen zu deiner Linken entfernt. Du musst ihn zu mir
zurücktreiben.
Kein Problem. Jaxon hatte keine Ahnung, was sie tun musste, um
dieses Geschöpf daran zu hindern, aus der Erde aufzutauchen, aber wenn Lucian
es sagte, musste es geschehen. Sie zog ein Stück weiter und versuchte anhand
der unterirdischen Vibrationen einzuschätzen, wo die beiden sich gerade
befanden. Wenn sie lauschte, konnte sie hören, wie das Erdreich unter der
Berührung des verkommenen Wesens stöhnte, das sich seinen Weg hindurchbahnte.
Sie spürte sogar, wie der Boden unter ihren Füßen schwankte, und wusste, dass
der Vampir in ihre Richtung raste, um weit entfernt von Lucian an die
Oberfläche zu kommen.
Jaxon stieg in die Luft auf und hinterließ dabei eine Flam- mendeeke
auf dem Boden, die alles unter ihr in Brand setzte. Sie wusste, dass sie Erfolg
gehabt hatte, als ein schriller Schrei ertönte und ein widerwärtiger Gestank
aufstieg, gefolgt von abruptem Schweigen, als hätte sich das Wesen wieder in
die Erde zurückgezogen. Nur um ganz sicher zu gehen, schickte sie weitere
Flammen nach unten, so lange, bis reine Erschöpfung sie zwang, wieder auf dem
Boden zu landen.
Irgendetwas stimmte nicht. Lucian hatte ihre geistige Verbindung
unterbrochen. Sie war allein in der Stille des Sturms. Zu müde, um sich zu
rühren, brachte Jaxon nicht mehr die Energie auf, Kontakt zu Lucian
aufzunehmen.
Plötzlich und ohne Vorwarnung tauchten überall aus dem Boden Tentakeln
auf, lange, mit Saugnäpfen besetzte Arme wie die eines Tintenfisches, aber
scharf und spitz wie Speere. Sie waren überall und streckten sich zuckend nach
ihr aus.
Jaxon sprang auf. Nacktes Grauen gab ihr die Kraft, sich zu bewegen,
als sich einer der Fangarme um ihren Knöchel schlang. Entsetzt starrte sie
diesen grausigen Auswuchs an. Noch während sie es tat, schrumpfte er in sich
zusammen und fiel von ihrem Bein ab.
Jaxon fuhr herum und wäre dabei beinahe mit einem großen, hageren Mann
zusammengestoßen. Er wirkte jung und uralt zugleich. Einen Moment sah er gut
aus, im nächsten verschlagen und böse. Er lächelte sie an. »Ich gehe davon
aus, dass du mit deinen erbärmlichen Versuchen, mir Schaden zuzufügen, am Ende
bist. Es ist nicht möglich. Ich bin viel zu mächtig für dich. Letzten Endes,
meine Liebe, wirst du für deine Vergehen gegen mich bezahlen.« Seine Stimme war
gesenkt. In anderen Ohren mochte sie schön klingen, aber Jaxon empfand sie als
abstoßend.
Sie bewegte sich langsam und
hielt dabei die Hände nach unten. Sie musste den tastenden, spitzen Armen
ausweichen und trotzdem den Blick unverwandt auf ihren Feind richten. Denn er
war ihr Feind. So liebenswürdig seine Stimme auch klang, so freundlich seine
Gesichtszüge scheinen mochten, Jaxon wusste, dass sie ein Monster ohne
Skrupel, ohne Seele vor sich hatte. Sie hob das Kinn, aber ihr Körper verharrte
so regungslos wie die Berge ringsum. In ihrem Inneren fand sie einen ruhigen,
friedlichen See, in den sie sich zurückzog, während die Hülle, die ihr Köiper
jetzt war, dem Vampir gegenüberstand.
Er lächelte sie an und entblößte dabei scharfe, spitze Zähne.
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