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Dunkler Schlaf: Roman (German Edition)

Dunkler Schlaf: Roman (German Edition)

Titel: Dunkler Schlaf: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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verkrampft. Zog die Hände aus der Tasche, sprang vor, packte Zipps Jacke und fing an zu boxen. Nicht hart, das wirklich nicht, sie waren doch Kumpels, aber Zipp hätte fast das Gleichgewicht verloren. Er stolperte ein paar Schritte zurück und hob die Hände zu einer halbherzigen Verteidigung. Das komische Bild ließ ihn nicht los, er lachte Tränen, während er mit den Händen fuchtelte, um seinen Freund abzuwehren. Andreas machte noch einen Versuch. Er warf sich nach vorn, Zipp stürzte, tat sich aber nicht weh, er rang noch immer mit diesem wilden Gelächter. Doch dann sah er Andreas’ Gesicht. Dessen Miene hatte etwas Teuflisches, er sah aus wie ein Amokläufer. Und jetzt lag er oben, o verdammt! Andreas war entschlossen, seine Kräfte entstammten ganz und gar seinem Willen, während er, Zipp, vollständig willenlos diesem hysterischen Gekicher preisgegeben war; er rang um Atem und fragte sich, was als nächstes kommen würde. Eine Ohrfeige oder ein Knie in den Bauch. Andreas sah so seltsam aus. Zipp hoffte, daß er seinen Griff lockern würde, doch das tat er nicht. Während er Andreas durch die Lachtränen anstarrte, fragte er sich, was von dem, was er gesagt hatte, in dem so vertrauten Gesicht einen solchen Ernst hervorgerufen haben mochte. In dem Gesicht, das so ungeheuer nahe war. Den blanken Augen, den roten Wangen, den in der Dunkelheit weiß leuchtenden Zähnen. Zipp spürte den heißen Atem an seinem Kinn. Und dann fing Andreas an, sich langsam, gleichmäßig an ihm zu reiben. Zipp starrte ihn verdutzt an, begriff nicht, was vor sich ging. Er konnte nicht so schnell denken, und Andreas schien in gewisser Weise weit weg, während er rieb und rieb. Unvermittelt hörte er auf. Seine Augen konnten wieder sehen, sie schauten Zipp an mit einem Ausdruck größter Verletzlichkeit. Sein Griff lockerte sich. Zipp blieb liegen, versuchte immer noch zu begreifen. Und dann spürte er, noch ehe er sich fassen konnte, Andreas’ Hand zwischen den Beinen. Die Hand rieb ihn, diese schmale Hand, sie rieb und rieb. Er war restlos überrumpelt. Merkte zu seinem Entsetzen, wie in ihm die Lust erwachte, und etwas Entsetzliches traf sein Inneres wie ein Schuß, ein Schrecken so groß, daß er fast zerrissen wäre. Aus der Tiefe seiner Seele kam endlich ein Schrei. Der Schrei stieg von seinen Füßen auf, bohrte sich durch seinen Leib bis in das Gesicht von Andreas, jagte ihn weg. Mit einem gewaltigen Sprung kam er auf die Beine. Er schrie noch immer, es war ein unartikuliertes Brüllen, mit einer Stimme, die er nicht erkannte. Er ballte die Fäuste, hätte alles niederschlagen können, zerbrechen und zerreißen, zerfetzen.
    Andreas erhob sich langsam, ohne Zipps Blick loszulassen. Zipp war ein wütendes, angriffsbereites Tier. Andreas stand in sicherer Entfernung, behielt ihn im Auge, bereitete sich vor; im Moment war Zipp der Stärkere, stark genug zum Töten. Ein Fehler, und Zipp würde ihn mit bloßen Fäusten töten.
    »Scheiße, Zipp«, flüsterte er. »So war das nicht gemeint.«
    »Halt die Fresse! Halt die Fresse, du Arsch, du Scheißhomo!«
    »Ich wollte doch nicht…«
    »Ich will das nicht hören. Ich will nichts wissen. Faß mich nicht an, zum Teufel!«
    Andreas wurde lauter. Seltsamerweise spürte Zipp hinter seinen Worten Wut.
    »So ist es nun mal. So war es schon immer.«
    Seine Augen flehten. Zipp war restlos verwirrt. Er hatte nie an diese Möglichkeit gedacht, nicht einmal in seinen wildesten Phantasien. An alles andere, ja. Daß Andreas schrecklich wählerisch war, was Frauen anging, daß ihm Ältere lieber waren, aber das war schon in Ordnung, war sogar gut so, paßte zu ihm. Aber schwul?
    »Die Frau«, flüsterte er atemlos. »Bloß ein blöder Vorwand?«
    »Nein.« Andreas starrte seine Füße an. »Die ist – ein Alibi.«
    »Ja zum Teufel. Ein Alibi?«
    »Du bist doch drauf reingefallen, oder?«
    Zipp konnte sich nicht beherrschen, seine Gefühle waren ein einziger Wirrwarr. Er hatte keine Ahnung, hatte rein gar nichts gerafft, aber es lag doch auf der Hand. Andreas hatte sich noch nie für Frauen interessiert, und Zipp, dieser Idiot, war ein blindes Huhn gewesen. Ein dummes Huhn.
    »Ich schlafe mit ihr. Aber das ist nur ein Alibi.«
    Endlich wurde es still. Ein Scheinwerfer an der Kirchenwand schickte weißes Licht zu dem kleinen Flecken, auf dem sie einander mit geballten Fäusten gegenüberstanden. Zipp hatte das Gefühl, daß das alles von einer höheren Instanz inszeniert war. Jemand hatte sie

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