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Dunkler Schlaf: Roman (German Edition)

Dunkler Schlaf: Roman (German Edition)

Titel: Dunkler Schlaf: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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im Schritt.
    »Jetzt ein Schlummertrunk. Das wäre das richtige.«
    Andreas nickte und starrte mit zusammengekniffenen Augen ins Wasser. In dieses schwarze, schwere Wasser, das nie wirklich wild wurde. Ginas Geld hatten sie ausgegeben.
    »Wenn jetzt eine Oma mit einer Handtasche käme, würde ich sie an mich reißen«, sagte er. »Einfach zugreifen und abhauen.«
    »Wir haben für heute genug gemacht«, murmelte Zipp. »Und außerdem – die alten Frauen liegen jetzt im Bett.«
    Wieder schwiegen sie. Vom Marktplatz her, den sie im Rükken hatten, waren leise Stimmen zu hören, Lachen, Flüche. Viele waren beschwipst, sie hatten sich durch den Abend getrunken, hin zu Mut und Selbstvertrauen, und jetzt wollten sie sich zeigen. Waren gewissermaßen auf dem Sprung. In der Warteschlange am Taxistand kam es zu Rempeleien. »Affe«, tönte es herüber.
    »Scheißkanake.«
    »Verdammte Axt«, sagte Andreas plötzlich. »Wir zupfen irgendwem die Kohle ab.«
    »Wem denn?«
    »Irgendwem.«
    »Reg dich ab.«
    Zipp begriff nicht, was in Andreas gefahren war. Er war ganz anders als sonst. In ihm schien sich etwas zusammenzubrauen. Aber sie drehten sich gleichzeitig um und hielten Ausschau. Suchten nach einem weidwunden Tier, einer leichten Beute. Die meisten jedoch waren durchaus imstande, sich zu wehren. Da konnten sie ohne weiteres zusammengeschlagen werden. Sie suchten nach der Befreiung von ihrer Anspannung, und zugleich hatten sie Angst. Vor ihren eigenen Plänen, die ihnen im tiefsten Herzen zu schaffen machten. Vor der dumpfen Ahnung, wohin das alles führen konnte. Als näherten sie sich dem Ende eines Prozesses, der schon vor einer Ewigkeit eingesetzt hatte. Die Angst verpaßte ihnen eine Dosis Adrenalin. Das war ein gutes Gefühl. Sie gingen in Richtung Taxistand. Kamen am Bierzelt vorbei, das neuerdings sogar beheizt wurde. Knirschten vor Ärger mit den Zähnen, als sie Gläserklirren und Gelächter hörten. Sie überquerten die Hauptstraße, erreichten das Rathaus. Zipp registrierte, daß sie sich der Kirche näherten. Andreas führte an, Zipp zockelte hinterher. Er begriff nicht ganz, was sie dort oben wollten. Niemand kümmerte sich so spät noch um die Gräber. Keine der alten Damen, die ihre gesamte Rente in der Handtasche mit sich herumtrugen. Die Kirche thronte auf einer Anhöhe über dem Marktplatz und war zweifellos das am günstigsten gelegene Gebäude in der Stadt. Dort würde das Schloß stehen, wenn es hier einen König gäbe, dachte Zipp und schielte zu Andreas hinüber. Sie wanderten zwischen den Gräbern umher. Lasen die Aufschriften auf den Grabsteinen. Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Andreas stemmte die Arme in die Seiten und starrte diesen Text an. Zipp versetzte in seiner Verwirrung dem Boden Fußtritte.
    »Hier hört es auf«, sagte Andreas leise.
    Zipp glotzte. »Wie meinst du das?«
    »Alles. Das, was wir sind.«
    Zipp schaute sich ratlos um. Stille und Dunkelheit umgaben sie. »Was ist mit dir los? Mach doch morgen blau«, schlug er vor. »Laß uns eine Runde trampen. Uns fällt schon was ein, wir könnten doch nach Schweden fahren, zum Henker.«
    »Ich hab schon genug blaugemacht.«
    In Andreas’ Stimme lag eine Mutlosigkeit, die Zipp auffiel. Hier stimmte etwas nicht, das war klar. Er wurde nervös.
    »Bin im Moment nur noch geduldet«, sagte Andreas. »Muß mich vorsehen.«
    »Du hast doch eine Chefin. Ich kapier einfach nicht, daß du dich von einer Alten rumkommandieren läßt.«
    »Chefin, Chef, ist doch egal. Sie bezahlt schließlich.«
    »Wie wär’s mit Naturalien?« meinte Zipp. »Eine Nummer für einen freien Tag.«
    »Irgendwo gibt’s Grenzen.«
    »Wo denn?«
    »Bei Krampfadern und Schnurrbart.«
    »Was ist mit der Frau? Du findest solche doch toll, oder?«
    Andreas schwieg.
    »Du!« Zipp war wie vom Teufel besessen, aber es war auch ein Versuch, Andreas aufzumuntern. »Liegst du dabei auf einem Schaffell oder so was?«
    Andreas blickte ihn ausgiebig an. Zipp konnte sich ein Lachen nicht verkneifen, er sah Andreas deutlich vor sich: nackt auf einem Schaffell. Und eine alte Tante mit Pinsel und Malerkittel. Absolut verrückte Vorstellung, vielleicht hielt Andreas einen bunten Ball in der Hand. Oder eine Apfelsine. Da mußte er noch mehr lachen. Er brüllte in der Stille zwischen den Gräbern, brach vor Lachen fast zusammen, krümmte sich und schluchzte. Einige Schnaufer durch seine Stupsnase, gefolgt von heiserem Husten, dann weitere Schnaufer. Andreas lächelte

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