Dunkler Schlaf: Roman (German Edition)
hierhin gestellt, jemand legte ihm die Worte in den Mund. Und gab ihm Gefühle ein. Die Lust, als Andreas ihn berührt hatte, und danach die Lust, ihn zu zerstören. Verwirrt trat er von einem Fuß auf den anderen. Ihm blieb nichts anderes übrig, als zu gehen. Das war ihm zuviel. Wenn er nur den Verdacht gehegt, den Gedanken einige Male gedacht, wenn er sich vorbereitet hätte! Andererseits – wenn er jetzt wegging, war alles zu Ende. Für immer und ewig. Das wußte er, und Andreas wußte es auch, er wartete noch immer, die geballten Fäuste zum Angriff bereit, vielleicht auch zur Verteidigung. Von nun an mußte er mit der Gewißheit leben, daß Zipp Bescheid wußte. Daß er vielleicht klatschen würde. Und Zipp mußte mit dem leben, was Andreas getan hatte. Für einige Sekunden war in ihm Lust entfacht worden. Es war doch eine Hand wie alle Hände, wie eine Mädchenhand. Das da unten zwischen seinen Beinen lebte verdammt noch mal sein eigenes Leben! Wo war überhaupt der Unterschied? Es gab doch einen Unterschied? Er hätte gern alle Grabsteine umgeschmissen, sämtliche Pflanzen aus dem Boden gerissen, die ganze Stadt platt gemacht.
»Daß du…« Andreas stotterte. »Es bedeutet nichts, daß du so reagiert hast. Das ist ganz natürlich, alle Menschen…«
»Halt die Fresse!« Zipp steigerte sich in wilde Erregung hinein. »Ich weiß, daß ich nicht schwul bin, verdammt noch mal. Das brauchst du mir nicht zu erzählen. O Scheiße, halt die Klappe, Andreas.«
Er raufte sich die Haare. Brach plötzlich in leises Schluchzen aus, wischte sich Rotz und Tränen weg, sah Andreas’ gelbes Hemd in der Dunkelheit leuchten. Von der Welt waren nur noch Ruinen übrig, aber die Dreckskirche stand noch da, und die wollte er auch einreißen. Man konnte doch nicht mit einem Schwulen befreundet sein! Die anderen konnten Wind von der Sache bekommen, und dann würden sie natürlich denken, daß auch er… So dachten die Leute doch. Daß sie zusammen wären oder so, daß sie sich schon seit Jahren gegenseitig in den Arsch fickten. Er wandte sich ab und ging. Erreichte die Kirche.
Davor stand eine Bank. Er setzte sich, mußte nachdenken. Sich ins Bett legen und schlafen, nachdem das passiert war? Man konnte doch nicht schlafen, wenn die ganze Zukunft in Finsternis gestürzt war! Jahrelang hatte er eine Lüge gelebt, war hinters Licht geführt worden. Vielleicht war er die ganze Zeit begehrt worden, war durch Andreas’ Träume gegeistert, wenn der unter seiner warmen Decke gelegen hatte. Seine Schultern bebten. Er weinte lautlos. Andreas schwul. Das bedeutete doch, daß Gott und die Welt homosexuell sein konnten, von außen war das ja nicht zu sehen. Auch andere Bekannte konnten so sein, ganz normale Menschen. Sogar Mädchen. Er dachte an Anita. Wenn nun auch Robert ein Alibi dargestellt hatte? Er und alle anderen, mit denen sie im Bett gewesen war. Aber Anita war tot, also spielte das keine Rolle mehr. Vielleicht war kein Mensch das, wofür er sich ausgab. War er das denn? Ja, zum Henker. Ein guter Kumpel. War er ein guter Kumpel? Erwartete Andreas wirklich, daß er sich nicht von ihm abwandte? Das war verdammt viel verlangt. Gleichzeitig bedeutete Freundschaft doch sicher genau das. Er brauchte Zeit. Ein paar Tage zum Nachdenken. Aber er war nicht gewohnt, seine Probleme durch Denken zu lösen. Außerdem war ihm kalt. Er hörte schleppende Schritte und wußte, daß Andreas auf ihn zukam. Dabei hatte er gedacht, daß er in eine andere Richtung gehen würde. Zipp starrte auf den Kiesweg. Wollte raus aus dieser Situation, zurück zu dem, was sie gehabt hatten, und wußte doch, daß das unmöglich war, daß sie vielmehr etwas Neues finden mußten. Was würden die Leute sagen, wenn sie plötzlich nicht mehr zusammen wären? Sie waren immer zusammen gewesen. Ihm ging auf, daß gerade das die Gerüchte anheizen würde. Sie würden es sagen, zuerst als Scherz. Hast du schon gehört? Zipp hat mit Andreas Schluß gemacht. Seine Schuhe waren vom Tau naß geworden, seine Zehen eiskalt.
»Wenn du das noch einmal machst, bringe ich dich um!«
Andreas breitete die Hände aus. »Nie wieder!«
Sie zuckten beide mit den Schultern. Zipp erhob sich schwerfällig. In derselben Sekunde setzten sie sich in Bewegung, gingen mit energischen Schritten auf das Steintor zu. Als sie draußen standen, schien sich hinter ihnen etwas zu schließen und für immer zu verschwinden. Zipp wischte sich die Nase ab. Seine eigene Großzügigkeit ließ ihm die Brust
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