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Dunkler Schlaf: Roman (German Edition)

Dunkler Schlaf: Roman (German Edition)

Titel: Dunkler Schlaf: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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waren, dachte er, das endet hier.

 
    L ange lag ich da und zitterte wie im Fieber. Es ging mir weder gut noch schlecht, ich war einfach ein Körper, der sein wirres Eigenleben führt. Ich träumte, daß mein Darm wuchs. Daß er sich langsam, aber sicher ausdehnte, bis er über den Boden schleifte. Ich mußte ihn hochheben und in den Händen tragen, so daß alle ihn sehen konnten. Ein riesiges Darmgewirr. Schaut her! Dann erwachte ich. Ich hatte das Entsetzliche im Keller nicht vergessen, hatte es nur eine Weile verdrängt wie einen bösen Hund, der mir nichts tun konnte, solange er angekettet war. Jetzt knurrte er leise. Ich öffnete die Augen und starrte die geblümte Tapete an. Das Knurren wurde lauter. Stocksteif lag ich da, versuchte, die seltsamen Geräusche zu deuten. Zugleich wußte ich genau, daß ich nicht verrückt war. Ich bin nicht verrückt. Ich bin absolut klar im Kopf, ich erzähle alles genau so, wie es war. Haben Sie alles gelesen?
    Es wurde wieder still. Vielleicht waren das die Reste eines Traums, dachte ich. Doch dann heulte es los. Zuerst gedehnt und leise, dann lauter. Ich hatte noch nie ein dermaßen trauriges Geheul gehört, es stammte von einem Wesen in äußerster Not, in tiefem Schmerz. Ein wahnwitziger Gedanke stieg in mir auf, doch den schob ich sofort weg. Das war nicht möglich. So schrecklich konnte die Welt nicht sein! Es war ohnehin schlimm genug. Aber das Geräusch kam eindeutig aus dem Keller. Ein Rufen, so dumpf, als koste es ihn die allerletzte Kraft. Ich setzte mich auf, vor Angst zitternd biß ich auf einen Zipfel meines Kissens. Der Mann lebte noch! Er lag unten im kalten Keller und schrie um Hilfe! Ich drehte mich auf den Bauch und preßte mir das Kissen auf den Kopf. Diese Schreie, wie die eines verletzten Tieres, waren unerträglich. Und er rief mich. Vielleicht konnten auch andere ihn hören. Die Nachbarn. Leute auf der Straße. Sie würden stehenbleiben und horchen, sich die Adresse merken. Und womöglich glauben, daß ich jemanden mißhandelte. Ich hätte mich erbrechen mögen. Warum war er hergekommen? Und warum konnte er nicht still sein? Endlich stand ich auf, bewegte mich aber sehr vorsichtig durch das Zimmer. Er sollte meine Schritte nicht hören. Offenbar hatte er arge Schmerzen. Er war doch ein halbes Kind. Daß er dermaßen schreien konnte, niemals hatte ich jemanden so entsetzlich schreien hören, mit einer solchen Angst! Ein Junge. Ganz allein da unten in der Dunkelheit, auf dem eiskalten Boden.
    In der Küche blieb ich stehen. Machte die Deckenlampe an. Ich konnte nichts tun, ohne von ihm gehört zu werden. Weder einen Wasserhahn öffnen noch in den Kühlschrank blicken. Ich zog vorsichtig einen Küchenstuhl heran und ließ mich darauf sinken. Preßte mir eine Hand auf den Bauch, spürte den warmen Inhalt des Beutels durch das Nachthemd. Nun war es wieder still. Vielleicht war er in Ohnmacht gefallen, oder vielleicht sammelte er Kräfte, um noch lauter zu schreien. Ich weiß nicht, wie lange ich so sitzen blieb. Irgendwann fing er wieder an, lauter diesmal. Ich sprang auf, ging zum Radio, das auf dem Tisch stand, und schaltete es ein. Es wurde Musik gespielt. Ich drehte lauter. Bis ich ihn nicht mehr hören konnte. Ich lauschte erstaunt der Leidenschaft, die den Raum erfüllte. »I will always love you. Hold me baby, hold me now.« Ich kroch in mich hinein. Ich gehörte nicht in diese Welt, ich war ein ungeliebter Mensch. Da saß ich nun, eine alternde Frau mit einer Tüte voller Stuhl auf dem Bauch, und beanspruchte Platz. Plötzlich verspürte ich einen Brechreiz, aber es kam nichts, nur der saure Geschmack von altem Portwein. Die Schreie verstummten. Sollte ich es wagen, die Luke zu öffnen? Nur schnell einen Blick nach unten werfen und sie wieder schließen? Ich rollte den Läufer auf. Die Luke kam zum Vorschein. Ich horchte atemlos, hörte aber nichts. Er hatte wohl das Bewußtsein verloren. Also konnte ich wieder ins Bett gehen und das Problem noch für einige Stunden aufschieben. Ich starrte die Wand an, den Kalender, der September zeigte. Es ist Herbst, dachte ich. Und es wird noch dunkler und kälter werden. Dann griff ich nach dem Ring und öffnete die Luke. Schaute auf das bleiche Gesicht hinunter. Die Augen über dem Tuch starrten mich an, und ich hörte einen Schrei, so herzzerreißend, daß ich um ein Haar gestürzt wäre. Doch ich fand das Gleichgewicht wieder und ließ die Luke einfach los. Er war alles andere als tot. Er würde noch lange

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