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Dunkler Schlaf: Roman (German Edition)

Dunkler Schlaf: Roman (German Edition)

Titel: Dunkler Schlaf: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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Stand er unten auf der Straße, zählte Geld und lachte beim Gedanken an Zipp, der noch immer in der Dunkelheit wartete? Er stieg noch einmal auf den Stuhl. Blieb dort eine Ewigkeit stehen, bis ihm der Hals weh tat. Sah drinnen plötzlich eine Frau. Sie trug nur ein Nachthemd. Ließ sich am Tisch auf einen Stuhl sinken. Sie schien unverletzt, das war immerhin etwas. Er beschloß zu warten, bis sie etwas unternahm. Wollte sie nicht die Polizei rufen? Hatte sie das schon erledigt? Zipp sprang vom Stuhl, lief um das Haus herum, duckte sich hinter die Hausecke. Niemand zu sehen. Er lief zurück, schaute noch einmal ins Haus. Die Frau saß noch genauso da. Er horchte auf Sirenen in der Ferne, hörte aber nichts. Nur ein schwaches Rauschen drang aus der Stadt zu ihm herauf. Er war müde und verwirrt. Es war so viel passiert, an diesem seltsamen Tag. Er tastete nach seinen Zigaretten, nahm einen Lungenzug und sah die Glut in der Dunkelheit rot aufleuchten. Er verspürte einen Hustenreiz, konnte ihn aber unterdrücken. Nach drei Zigaretten stieg er wieder auf den Stuhl. Die Alte saß doch tatsächlich immer noch in genau derselben Haltung da. Die Frau stand unter Schock, das begriff er immerhin. Aber er konnte nicht die ganze Nacht an diesem Fenster zubringen. Den dunklen Garten allein verlassen. Das schien unmöglich! Aber er hatte so lange gewartet. Leise schlich er durch das Tor, und die ganze Zeit wirbelte ihm die eine Frage durch den Kopf: Wo zum Teufel, wo zum absoluten Oberteufel steckt Andreas?

 
    D er Lärm, als er die Treppe hinunterstürzte, dieses widerliche Geräusch, mit dem sein Kopf auf den Boden schlug, ich kann es nicht beschreiben! Der Aufprall pflanzte sich als hauchdünner Schmerz in meinen Körper fort. Ich dachte, jetzt hat er sich das Genick gebrochen! Diese schmächtige Gestalt und der steinharte Boden. Ich schloß die Luke. So konnte er jedenfalls nicht nach oben kommen und mich noch einmal bedrohen. Natürlich mußte ich irgendwo anrufen, jemand mußte mir helfen. Runi vielleicht, oder Ingemar. Nein, dachte ich, um Gottes willen, nicht Ingemar. Und wie ich aussah! Ich schwankte ins Badezimmer. Wechselte den Beutel aus. Es fiel mir schwer, den neuen dicht anzuschließen, so sehr zitterten meine Hände. Ich dachte daran, daß er es gesehen hatte. Das, was niemals irgend jemand hatte sehen sollen. Davon hören, davon wissen, das ja, zur Not, wenn es sich wirklich nicht vermeiden ließ. Aber es sehen. NEIN! Sein ungläubiges Gesicht. Vielleicht hatte er nicht begriffen, was es war, vielleicht hatte er mich für eine Mißgeburt gehalten. Ein Ungeheuer. Ein roter, glänzender Darm auf dem Bauch, der kann an, ja, verzeihen Sie, es kostet mich wirklich viel, das zu erzählen, aber er kann an einen Penis erinnern. Und ich bin doch eine Frau.
    Ich zog ein sauberes Nachthemd an. Setzte mich an den Küchentisch. Ich weiß nicht, wie lange ich dort saß. Eingekapselt, ohne Platz für Gedanken oder auch nur Verzweiflung. Irgendwann hob ich den Kopf. Unwillkürlich wanderten meine Gedanken zum Fenster. Eine wilde Sekunde lang glaubte ich, hinter der Glasscheibe ein Gesicht zu sehen. Ich starrte und starrte, aber es tauchte nicht wieder auf. Sicher war eine Ewigkeit vergangen, als ich mir endlich die Frage stellte: Was soll ich jetzt machen? Erst als mir dieser Gedanke kam, konnte ich mich aus meiner Lähmung befreien. Und mit der Wirklichkeit kamen die Gefühle. Sie brachten mich an den Rand einer Ohnmacht. Ich dachte an seine Augen. Aus denen Angst und Entschlossenheit gleichermaßen geleuchtet hatten. Wie kann Geld so wichtig werden? Ich saß einen Meter von der Kellerluke entfernt. Wenn ich sie öffnete, würde das Licht der Deckenlampe ihn mir zeigen. Ich würde aufstehen und mir alles genauer ansehen müssen. Vor der Luke stehen und nach unten blicken. Und dann fiel es mir wieder ein, ich mußte anrufen. Alles erklären. Es war so viel zu erledigen. Mühsam erhob ich mich. Öffnete die Luke. Mochte nicht nach unten schauen. Aber ich konnte nicht so tun, als sei das alles nicht passiert. Wenn ich in ein anderes Zimmer ginge und bis zum Morgen dort sitzen bliebe, würde er trotzdem dort liegen. Ich kehrte der Luke den Rücken zu und zählte, zählte bis zehn, bis zwanzig. Er konnte nicht weglaufen, er hatte sich das Genick gebrochen. Dreißig, vierzig. Langsam drehte ich mich um. Warum schrie er nicht? Ich ging in die Hocke. Schaute die oberste Stufe an, dann die zweite. Das Licht fiel schräg nach unten.

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