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Dunkler Schlaf: Roman (German Edition)

Dunkler Schlaf: Roman (German Edition)

Titel: Dunkler Schlaf: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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Als erstes sah ich seine Füße. Sie lagen auf der zweituntersten Stufe. Sein Körper war zu einer unmöglichen Haltung verkrümmt. Der eine Arm zeigte zur Seite, den anderen konnte ich nicht sehen, vielleicht lag er darauf. Seine Stirn war ein weißer Fleck im dunklen Keller, die Mütze war verschwunden. Kein Mensch konnte so daliegen und noch am Leben sein. Der Winkel, in dem sein Kopf lag, ließ mich Entsetzliches ahnen. Ich schaute so lange hinunter, wie ich es nur über mich brachte. Horchte, aber es herrschte Grabesstille. Ich richtete mich wieder auf. Begriff, daß das Schlimmste geschehen war. Er war tot.
    Dieser Gedanke kam mir ganz undramatisch, groß und ruhig. Was hätte ich gemacht, wenn er noch am Leben gewesen wäre? Einen Krankenwagen geholt. Und die Vorstellung, das alles zu erzählen, nein, die war unmöglich. Fremde Menschen, die in Irmas Haus umhertrampelten? Ich klappte die Luke wieder herunter. Zog den Läufer darüber. Es war ganz einfach. Niemand wußte, daß er in mein Haus gekommen war. Ich versuchte nachzudenken. Ich mußte einen Plan machen. Tief atmen, ein und aus, ein und aus. Ich beschloß, am nächsten Tag zu Hause zu bleiben. Da ich bei der Arbeit fast nie fehlte, würde niemand Verdacht schöpfen. Ich konnte eine einsetzende Grippe anführen. Und dann überkam es mich, dieses seltsame Gefühl, daß mir das alles schon einmal passiert sei. Ich begriff das nicht. Offenbar spielte die Angst mir einen Streich. Aber ich hatte immer schon geglaubt, daß früher oder später etwas Entsetzliches passieren würde. In Gedanken hatte ich fast alles durchgemacht; ich ließ meinen Gedanken freien Lauf, wenn ich in dem roten Sessel am Fenster saß. Der Alptraum würde über mich hereinbrechen, das hatte ich immer geahnt. Jetzt war es soweit. Als mir dieser Zusammenhang aufging, beruhigte ich mich langsam. Jetzt war also das Allerschlimmste passiert. Mit anderen Worten, etwas war überstanden. Das Problem lag offen zutage, jetzt mußte es gelöst werden. Der Augenblick der Tat war gekommen. Ich sagte mir, daß ich zunächst einmal schlafen müsse. Die Spuren würde ich später beseitigen. Hatte er Spuren hinterlassen? Ich schaute mich um, ging ins Arbeitszimmer. Was war mit dem Messer? Lag das im Keller? Ich redete leise mit mir selbst. Im Keller liegt ein toter Mann. Er wollte mich ausrauben. Es war ein Unfall. Niemand weiß, daß er hier ist, und es kommt fast nie jemand her. Es muß einen Ausweg geben. Es muß einen Ausweg geben! Überall löschte ich das Licht, nur im Badezimmer nicht. Ging zu Bett. Zog mir die Decke über den Kopf. Starrte in die Dunkelheit. Wollte die Augen schließen, konnte es aber nicht. Sie flossen und flossen ganz einfach über.
     
    Zipp kletterte hinter Andreas’ Haus auf einen Holzstapel. Hinter dem Vorhang brannte schwaches Licht. Das Fenster war geschlossen. Er glaubte sich zu erinnern, daß Andreas immer bei offenem Fenster schlief. Er dachte, schon wieder stehe ich wie ein blöder Spanner vor einem Haus. Das Bett war ordentlich gemacht. Die schwarzweiß gestreifte Tagesdecke lag straff gespannt über dem Bett. Und er sah das Doors-Plakat. Auf dem Schreibtisch stand eine leere Colaflasche. Kein Andreas zu sehen. Zipp war fest davon ausgegangen, daß Andreas in seinem Bett liegen würde, aber das tat er nicht. Zipp sprang auf den Boden. Er mußte nach Hause. Wo zum Teufel hätte er sonst hingehen können? Sollte er bis zum nächsten Morgen warten und dann anrufen? Seine Besorgnis verwandelte sich in Wut. Also zog er wieder los. Vorbei an der Kirche und den Gräbern. Die Hände in den Hosentaschen. Er war verdammt allein. Eine Nacht mußte er überstehen. Mit dem Licht würde die Lösung kommen, irgendeine schwachsinnige Erklärung. Er schloß die Haustür auf. Lief in den Keller. Streifte die engen Jeans ab. Seine Haut war feucht, die doppelten Nähte hatten rote Streifen hinterlassen. Er legte sich auf das Sofa und deckte sich zu. Starrte in die Dunkelheit. Andreas hatte alles getan. Er selbst hatte nur zugesehen. Niemand konnte ihm etwas vorwerfen. Endlich stieg eine vage Erleichterung in ihm auf. Ehe die Dunkelheit ihn aufnahm, fiel ihm der Stuhl ein. Der stand noch unter ihrem Fenster. Was sie wohl denken würde? Was hatten sie selbst gedacht? Sie hatten nicht gedacht, sie waren einfach losgestürmt. Plötzlich sah er das kleine Kind auf die Steine prallen. Den kleinen Mund mit dem zahnlosen Kiefer. Das schäumende Meer, das wütende Geschrei. Das, was wir

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