Dunkler Schlaf: Roman (German Edition)
mich gern mit Leuten wie dir ab.«
Robert versank in Gedanken. Sejer ließ ihn gewähren. Vorsichtig knüpfte Robert eine Gedankenkette. Er würde das, was ihn erwartete, schon durchstehen. Das Gefängnis überleben. Alle dort hatten denselben Fehler begangen. Er war einer von vielen, andere hatten vielleicht noch schlimmere Dinge getan. Er wollte sich einordnen, sich an die Regeln halten, zum Musterhäftling werden. Tag für Tag, Wochen und Monate. Er würde es schaffen. Aber danach? Wenn er eines Tages entlassen würde, was sollte dann werden? Was sollte er sagen, was würden die anderen tun, wenn sie davon erführen? Würde er damit umgehen können? Oder würde er es darauf anlegen, rasch in dieses Haus mit seiner Ordnung und seinen Regeln zurückkehren zu können? Das Leben dort war leicht. Einfache Aufgabe, drei Mahlzeiten täglich, Geld für Zigaretten. Und die Leute waren sogar freundlich. Wieder begann er zu zittern.
»Aber ich weiß nicht, wie ich das schaffen soll!« platzte es aus ihm heraus. Er hätte fast losgeweint, konnte die Tränen aber herunterschlucken und wischte sich mit dem Jackenärmel den Rotz ab. Blieb schweigend sitzen, während das unterdrückte Weinen ihn schüttelte. Das, was Robert gewesen war, kannte er nicht mehr. Er fand nirgendwo Halt. Langsam erhob er sich. Stieg immer höher und schwebte endlich hoch über dem Tisch. Er konnte auf seinen ledernen Stuhl hinunterschauen, er konnte sich ein wenig drehen und durch das Zimmer rotieren. Der Hauptkommissar bemerkte das nicht, der war in seine Notizen vertieft.
R uni stand schreiend auf der Treppe. Sie war außer sich. Immer wieder riß sie an der Tür. Ich fuhr herum, rannte zurück in die Küche und drehte das Radio so laut wie möglich.
»Irma, ich bin’s, Runi! Du mußt aufmachen, Irma!«
Ich dachte wie besessen nach. Mußte ich das? Und wenn ich aufmachte, was würde dann passieren?
»Ich fühle mich nicht wohl«, rief ich. »Ich war heute nicht bei der Arbeit.«
Ich stützte mich an der Wand ab. Ich mußte sie mir vom Leib halten. So viel kam zu meinem Haus, so viel drängte herein!
»Ich muß mit dir reden!«
Sie ließ nicht locker. Ich suchte nach einem Vorwand, um nicht aufmachen zu müssen. Andreas würde uns hören, er würde losschreien. Runi kam sonst nie ungebeten zu mir, es war eine ungeheure Frechheit, es war einfach unmöglich, sie ins Haus zu lassen. Aber wenn ich nicht aufmachte…
»Jetzt mach endlich auf, Irma! Ich flehe dich an!«
Sie schrie mit Fistelstimme. Die Nachbarn fielen mir ein. Die würden sie hören. Ich mußte aufmachen. Vorsichtig drehte ich den Schlüssel um und öffnete die Tür einen Spaltbreit. Runi fiel fast ins Haus. Ihre Augen waren verquollen. Sie hatte nicht einmal ihren Mantel zugeknöpft. Ich fand es schrecklich, Runi so zu sehen, sie gefällt mir besser, wenn sie ununterbrochen plappert.
»Etwas Schreckliches ist passiert!«
Sie ließ sich auf einen Küchenstuhl fallen und durchwühlte ihre Tasche nach Zigaretten. Im Radio lief Zigeunermusik. Sie bedachte es mit einem verzweifelten Blick und rief: »Ich habe so oft versucht, dich anzurufen. Warum gehst du nicht ans Telefon? Und kannst du das Radio nicht leiser stellen?«
Ich ging zum Radio und drehte es leiser, aber nur ganz wenig. »Was ist denn los?«
»Andreas«, schluchzte sie. »Andreas ist verschwunden.«
»Wie meinst du das? Verschwunden?« Ich starrte möglichst verständnislos. Aber ich hätte mir keine Sorgen zu machen brauchen, sie war viel zu sehr mit ihrer Verzweiflung beschäftigt. Das war im Grunde typisch Runi, daß sie mich überhaupt nicht sah. Sie starrte nur ihr eigenes Unglück an.
»Er ist seit zwei Tagen nicht mehr zu Hause gewesen. Ich war schon bei der Polizei.«
»Bei der Polizei?« Ich stöhnte auf.
»Ich habe ihn als vermißt gemeldet.«
Ich zog meine Jacke fester um mich und lauschte auf Geräusche aus dem Keller, hörte jedoch nichts. Vielleicht hatte er das Bewußtsein verloren, vielleicht schlief er. Lieber Gott, an den ich durchaus nicht glaube, mach, daß er schläft.
»Und was ist mit ihm?« fragte ich vorsichtig. »Ist er noch nicht wieder aufgetaucht? Hast du seinen Vater verständigt?«
»Bei dem ist er nicht. Die Polizei hat mit ihm gesprochen.«
»Und seine Freunde?«
»Er hat nur einen. Und der weiß nichts. Ihm ist etwas zugestoßen, irgend etwas. Großer Gott. Ich bin wirklich verzweifelt. Vielleicht ist er durchgebrannt. Wir streiten uns so oft. Ich war nie zufrieden, und
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