Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dunkler Schlaf: Roman (German Edition)

Dunkler Schlaf: Roman (German Edition)

Titel: Dunkler Schlaf: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
Vom Netzwerk:
schluchzte, seine Nase lief. Er starrte die Schreibunterlage an, die eine Weltkarte darstellte. Sein Blick verharrte auf einer kreideweißen, eiskalten Antarktis.
    »Ich war wütend rausgestürzt, um das Gewehr zu holen. Es hätte feige ausgesehen, wenn ich nur an die Decke geschossen hätte.«
    Das Kinn war ihm auf die Brust gesackt. Sejer ließ sich wieder zurücksinken. Er verzog keine Miene, aber Robert sah das nicht, er weilte noch immer in der Eiswüste.
    »Ich habe abgedrückt, aber es passierte nichts. Das Gewehr war noch gesichert. Das passiert automatisch, wenn man das Gewehr montiert. Das wußte ich, und deshalb habe ich entsichert. Es war mir peinlich«, sagte er leise. »Daß mir dieser Patzer passiert ist. Daß ich die Sicherung vergessen hatte.«
    »Hast du nicht gesehen, daß Anders sich hinter Anita versteckte?«
    »Doch.«
    »Aber geschossen hast du trotzdem. War dir nicht klar, daß du sie treffen würdest? Anita – die du geliebt hast?«
    Robert erwiderte seinen Blick ganz kurz.
    »Nein. Doch. Ich konnte sie schließlich nicht auffordern, beiseite zu treten. Geh da mal weg, Anita, ich will Anders erschießen. Das ging doch nicht. Ich mußte schießen.«
    »Warst du wütend, Robert?«
    »Wütend?« wiederholte Robert langsam. »Ich glaube nicht. Aber Anders war feige.«
    »Du hast dich auf den Schuß konzentriert?«
    »Ich wollte einen Knall«, wiederholte Robert.
    »Warum hast du nicht aufgehört?«
    »Das konnte ich nicht. Ich war doch schon dabei.«
    »Du warst dabei. Und dann hat es geknallt. Was war das für ein Gefühl?«
    Robert schluckte und schluckte. Hielt seine Antwort zurück. Traute sich selbst nicht über den Weg. »Gut«, sagte er leise. Und begann heftig zu zittern. »Es war ein gutes Gefühl. Mir wurde ganz warm. Und dann spürte ich, wie ich fiel.«
    »Die Geräusche«, sagte Sejer. »Waren die wieder da?«
    »Nach einer Weile. Als ob jemand ein Radio voll aufgedreht hätte. Ich bin schrecklich zusammengezuckt. Sie beugten sich über mich, alle beugten sich über mich, und jemand schrie. Die Mädchen jammerten, und jemand warf auf dem Boden Gläser um.«
    »Und was hast du geglaubt, was geschehen war?«
    »Ein schreckliches Unglück. Daß ich verletzt wäre.«
    »Du? Verletzt?«
    »Etwas hatte mich getroffen. Es war alles so seltsam. Die Geräusche waren zu laut. Auf dem Boden waren Blutflecken. Ich dachte, bald kommt jemand, um mir zu helfen. Ich ließ mich fallen, wartete auf Hilfe. Fand die Vorstellung schön, daß irgendwer mich holen und wegtragen würde. Das fand ich schön«, sagte er leise.
    »Und jetzt, Robert? Willst du weitermachen?«
    »Ja.« Robert hatte sich dermaßen angestrengt, daß sein Hemd Schweißflecken aufwies.
    »Warum?«
    »Dieser Anfang ist anders. Diesmal wiederholen sich die Dinge nicht.« Erschöpft sank er über dem Tisch in sich zusammen. »Aber ich begreife nicht, warum. Der Psychologe kann das wahrscheinlich erklären. Aber wie kann er sicher sein, daß seine Erklärung stimmt?«
    »Er ist sich nicht immer so sicher, Robert. Er macht seine Arbeit, so gut er kann. Er versucht zu verstehen.«
    »Aber kann man das verstehen? Es ist einfach passiert.«
    »Es gibt viele seltsame Dinge, die einfach passieren. Aber man muß sie untersuchen. Und vielleicht wirst du mit der Zeit mehr verstehen.«
    »Ich bin doch nicht verrückt!«
    Ausgerechnet das wollte er nicht sein.
    »Nein. Ich halte dich auch nicht für verrückt. Aber manchmal geschehen zu viele Dinge gleichzeitig. Und werfen uns um. Aber du kannst dich wieder aufrappeln. Du bestimmst noch über dein Leben.«
    »Das tu ich nicht. Nicht hier drinnen.«
    »Doch. Du bestimmst fast alles. Was du sagen willst, was du denken willst, womit du deine Tage füllen willst.« Sejer faßte seine Hand. »Ich wünschte, du würdest etwas essen.«
    »Wenn ich nichts esse, werde ich schlapp, und dann kann ich nicht soviel denken.«
    »Wenn du es über dich bringst, ist Denken besser. Schieb es nicht auf. Früher oder später läßt es sich doch nicht mehr vermeiden.«
    Roberts Mund war ausgedörrt. Er hätte sich schrecklich gern von diesem starken Mann zurück auf die Pritsche in seiner Zelle tragen lassen.
    »Sie können aufstehen und gehen«, sagte Robert. »Weggehen und das alles hier vergessen. Ich bin zum Beruf eines anderen geworden«, fügte er nachdenklich hinzu. »Und Sie werden dafür bezahlt, daß Sie sich mit Leuten wie mir abgeben.«
    »Ist das ein Problem für dich?«
    »Ein bißchen.«
    »Ich gebe

Weitere Kostenlose Bücher