Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dunkler Schlaf: Roman (German Edition)

Dunkler Schlaf: Roman (German Edition)

Titel: Dunkler Schlaf: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
Vom Netzwerk:
sagt, ich soll dich nicht bedrängen«, sagte sie. »Aber ich wüßte so gern, wer den Zettel geschrieben hat. Diesen schrecklichen Zettel in deinem Federmäppchen.«
    »Der ist mir doch egal«, sagte Matteus ausweichend.
    »Hast du denn keine Angst?« fragte sie.
    »Nein«, sagte er einfach.
    Sie blickte ihn verwundert an, merkte, daß sie ihm glaubte, und konnte das nicht verstehen.
    »Ich werde nicht zu deinem Rektor gehen und klatschen«, beteuerte sie eilig, »wenn du sagst, wer den Zettel geschrieben hat. Ich rufe auch seine Eltern nicht an. Oder ihre. Wenn es ein Mädchen war. Ich muß es nur wissen.«
    Matteus kämpfte einen stillen Kampf. Es war so schwer, wenn die Mutter bettelte.
    »Na gut«, sagte er endlich. »Tommy war’s.«
    Seine Mutter verstummte. Sie riß die Augen auf und schüttelte immer wieder den Kopf. »Tommy?« stammelte sie. »Aber der ist doch…« Verwirrt kniff sie die Augen zusammen. »Der ist doch aus Äthiopien. Der ist doch dunkler als du!«
    »Ja«, sagte Matteus und zuckte mit den Schultern.
    »Aber warum sollte denn ausgerechnet Tommy…«
    Plötzlich kicherte sie los. Auch Matteus kicherte, und dann brüllten sie beide vor Lachen, und die Mutter nahm ihn in den Arm, und Matteus begriff nicht, warum sie plötzlich so glücklich war. Aber das war sie. Und sie holte ihm ein Glas Cola. Dann setzte sie sich wieder, um sich die Nachrichten anzusehen, und ab und zu schüttelte sie den Kopf. Matteus setzte sich aufs Sofa. Schlug mit altkluger Miene eine Zeitung auf und starrte ein Bild an. Es zeigte einen jungen Mann mit dunklen Locken. Er lächelte Matteus an, seine Zähne waren strahlend weiß. Auf dem Bild sah er nett aus, viel netter als an dem Tag mit dem grünen Auto. Aber es war derselbe, da war Matteus sich sicher.
    »Warum ist der Junge in der Zeitung?« fragte er.
    Die Mutter schaute zu dem Bild hinüber und las den Text darunter.
    »Weil er verschwunden ist«, sagte sie.
    »Wieso verschwunden?« fragte Matteus.
    »Einfach weg. Verschwunden«, erklärte sie.
    »So wie Uroma?«
    »Nein. Oder das wissen wir nicht. Er ist von zu Hause weggegangen und nicht zurückgekommen.«
    »Er fährt in einem grünen Auto durch die Gegend«, teilte Matteus mit.
    »Was redest du da?« Sie blickte ihn skeptisch an.
    »Der und ein anderer. In einem grünen Auto. Sie wollten den Weg zur Bowlinghalle wissen.«
    Ingrid Sejer glotzte ihn an. »Ist das einer von den Jungs, die dich neulich schikaniert haben? Als du von dem Fest kamst?«
    »Ja.«
    »Bist du sicher?«
    »Ganz sicher.«
    Sie riß die Zeitung an sich und las. Seit dem ersten September vermißt.
    »Ich muß Opa anrufen«, sagte sie rasch.
    »Aber ich weiß nicht, wo er jetzt ist«, erklärte Matteus besorgt.
    »Das macht nichts. Ich rufe trotzdem an. Geh du schon mal ins Bett.«
    »Ich will mit Opa reden.«
    »Ich gebe dir zwei Minuten.« Sie wählte die Nummer ihres Vaters und wartete.
     
    Skarre knabberte ausgiebig an seinem Kugelschreiber herum. Sein Mund füllte sich mit Metallgeschmack. Wie konnte ein Mensch einfach so von der Erdoberfläche verschwinden? Zugleich dachte er an Sejers Worte. Es gibt immer Leute, die etwas wissen. Und Zipp wußte etwas. Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, als das Telefon klingelte.
    »Kriminalpolizei. Jacob Skarre.«
    In der Leitung war ein seltsames Rauschen zu hören. Er horchte, wartete.
    »Hallo? Hallo?«
    Die Stille hielt an. Nur dieses leise Rauschen. Er hätte längst auflegen können, sie wurden oft von Menschen angerufen, die sich nicht zu erkennen geben mochten, aber er wartete weiter.
    »Ihr müßt bald kommen. Er lebt sicher nicht mehr lange.«
    Dann klickte es. Das Gespräch war zu Ende. Skarre saß da und starrte verdutzt den Hörer an.
    Eine Frau. Sie hatte hysterisch geklungen, den Tränen nahe. Und in diesem Moment traf ihn etwas. Er sprang so schnell auf, daß sein Sessel nach hinten rutschte und gegen den Aktenschrank knallte. Diese Worte! Diese Verzweiflung! Wo hatte er das schon einmal gehört? Er lehnte am Schrank und dachte nach. Diese heisere Stimme erinnerte ihn an etwas, wenn er nur gewußt hätte, woran! Es war noch nicht lange her. Er setzte sich wieder. Zerbrach sich den Kopf. Aber er kam nicht weiter. Wie sollte er den verschwundenen Gedanken finden? Warum war das wichtig?
    Er versuchte, an etwas anderes zu denken. Endlich wurde ihm bewußt, was sie gesagt hatte. Er lebt sicher nicht mehr lange. Hieß das, daß jemand im Sterben lag? Bezog es sich auf Andreas Winther?

Weitere Kostenlose Bücher