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Dunkler Schlaf: Roman (German Edition)

Dunkler Schlaf: Roman (German Edition)

Titel: Dunkler Schlaf: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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früher überlegen müssen. Weißt du was? Das will ich auch. Hast du darauf vielleicht Rücksicht genommen?«
    »Nein«, sagte er kleinlaut.
    »Du hast Irma unterschätzt.«
    »Ich wußte doch gar nicht, daß du hier wohnst.«
    »Gelogen.«
    »Und ich habe dich erst erkannt, als es zu spät war.«
    »Was du nicht sagst. Wenn du mich gleich erkannt hättest, wärest du ein Haus weiter gegangen, ja? Und hättest einem anderen das Messer ins Gesicht gehalten. Einem fremden Menschen. Das ist ja auch leichter.«
    Ich zitterte vor Wut, aber es fühlte sich auch gut an, diese schroffen Empfindungen, die meine Wangen brennen machten. Ich war ein lebendiger Mensch, bebte vor gerechtem Zorn, stand an der Front und kämpfte eine meiner wichtigsten Schlachten. Und das beste von allem war, daß er mir zuhören mußte! Er konnte nicht einmal die Hände heben und sich die Ohren zuhalten. Irgendwann wurde sein Gesicht ausdruckslos. Er hatte mich ausgesperrt. Aber ich wußte ja, daß er mich trotzdem hörte.
    »Du bist ein verwöhnter Bengel.«
    Er schwieg, aber ich sah, daß seine Wimpern leicht vibrierten.
    »Was hast du für deine Mutter getan? Erzähl mal. Welche Pflichten hast du übernommen?«
    Er lächelte schwach. »Ich habe den Müll nach unten gebracht. Jeden Tag.«
    »Du meine Güte! Du hast den Müll nach unten getragen. Ich bin wirklich beeindruckt, Andreas.«
    »Wie lange liege ich schon hier?« flüsterte er.
    Ich dachte nach. »Seit drei Tagen. Willst du weg? Dann versuch, meine schwachen Punkte zu finden. Meine mütterlichen Instinkte. Den Schlüssel zur Freiheit. Ich bin Mutter eines Kindes, also habe ich welche. Laß mal sehen, ob du ein Menschenkenner bist.«
    »Ich bin ein Menschenkenner«, sagte er müde. »Aber das nutzt hier gar nichts. Das sieht doch jedes Kind. Daß du total verrückt bist.«
    Ich sprang auf und drohte mit den Fäusten. Wollte losbrüllen, ihm zeigen, wie wütend ich war. »Du verdammter Rotzbengel!«
    Überrascht starrte er aus seinen hellen Augen zu mir hoch. »Deine Wangen brennen, Irma!«
    Ich drehte mich um und ging. Diesmal machte ich das Licht aus, und er blieb in absoluter Dunkelheit zurück.
    »Ruf an, zum Teufel!« schrie er. »Dreckskuh! Hol endlich Hilfe!«
    Ich fiel auf die Knie und knallte die Luke zu, öffnete sie, ließ sie wieder fallen, wieder und wieder, es knallte und dröhnte, und das ganze Haus zitterte. Erschöpft sank ich schließlich auf dem Boden zusammen.

5. SEPTEMBER
     
    Frau Winther rief an. Skarre versuchte zu erklären.
    »Nein, Frau Winther, das ist leider nicht möglich. Das liegt nicht an uns, ich rede aus Erfahrung. Die Fernsehnachrichten wollen solche Meldungen nicht bringen. Es sei denn, wir können mit Sicherheit von einem Verbrechen ausgehen. Und in diesem Fall… Ja, Frau Winther, das verstehe ich doch. Aber ich kenne den Chefredakteur, und der läßt sich nun einmal nicht so leicht überreden. Natürlich können Sie dort anrufen, ich versuche nur, Ihnen die Enttäuschung zu ersparen. Nur in ganz besonderen Fällen… natürlich ist Andreas etwas ganz Besonderes für Sie, aber jeden Tag verschwinden Menschen. Zwischen zwei- und dreitausend pro Jahr, um genau zu sein. Daß ein zehnjähriges Mädchen anders bewertet würde? Ja, das stimmt, so ist es nun mal. Die Lokalzeitung hat ein Bild gebracht, das hat uns Mühe genug gemacht. Der Chefredakteur? Natürlich können Sie den anrufen, aber ich glaube nicht… Ja, natürlich rufen wir sofort an, aber auch unsere Möglichkeiten sind begrenzt. Wir tun ohnehin schon mehr als sonst in solchen Fällen. Ich verstehe, daß Sie das so empfinden. Aber wir können nicht ausschließen, daß Andreas aus freien Stücken weggegangen ist. Und dann… Ja, Sie halten das nicht für möglich, aber das ist immer so. Tatsache ist, wenn wir ihn finden, dann haben wir nicht das Recht, seinen Aufenthaltsort zu verraten. Ihnen. Wenn er das nicht möchte. So will es leider das Gesetz. Er ist erwach… Auf Wiederhören, Frau Winther.«
     
    Ingrid Sejer saß vor dem Fernseher. Sie schaute sich die Nachrichten an. Matteus stand hinter ihrem Sessel und starrte auf den Bildschirm. In dünnem Schlafanzug und mit nackten Füßen. Die Mutter drehte sich um und sah ihn an.
    »Matteus. Es ist schon spät«, sagte sie leise.
    Er nickte, blieb aber stehen. Die Mutter war bedrückt. Sie stand auf und legte die Hände auf seine schmächtigen Schultern. »Was hast du denn im Mund?«
    »Einen Lakritzporsche.«
    Sie lächelte traurig. »Papa

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