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Dunkler Schlaf: Roman (German Edition)

Dunkler Schlaf: Roman (German Edition)

Titel: Dunkler Schlaf: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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Warum dachte er sofort an Andreas? Er fischte eine Zigarette aus seiner Hemdentasche. Ein zusammengefalteter Zettel kam gleich mit zum Vorschein. Er faltete ihn auseinander. Frau von etwa 60 kommt um 16.00 ins Büro. Wirkt verwirrt. Und dann fiel ihm alles ein. Die Frau in dem braunen Mantel und was sie gesagt hatte. Es geht um eine vermißte Person. Er lebt sicher nicht mehr lange. Diese seltsame Frau, die die Nuckelflasche vergessen hatte. War sie die Anruferin? Was zum Henker trieb sie eigentlich? Er steckte sich die Zigarette an und trat ans Fenster. Öffnete es, blies Rauch hinaus. Dann schellte das Telefon noch einmal.
    »Hier ist Runi Winther. Bitte, verzeihen Sie, daß ich Sie schon wieder belästige.«
    Skarre räusperte sich. »Das ist schon in Ordnung, Frau Winther. Wir wissen, wie schwer das alles für Sie ist.«
    »Waren Sie schon bei meiner Freundin?«
    »Dazu sind wir noch nicht gekommen.«
    »Sie haben es versprochen.«
    »Ich werde sie aufsuchen. Morgen, Frau Winther.«
    »Sie wird ein gutes Wort für ihn einlegen. Das muß sie einfach.«
    »Was Andreas und seinen Lebenswandel angeht, so haben wir keinen Grund zu der Annahme, daß es da etwas zu beanstanden gibt.«
    »Aber ich möchte, daß Sie das von einem Menschen hören, der ihn kennt.«
    »Ja, Frau Winther. Nein, rufen Sie ruhig an, dazu sind wir doch da. Genau. Das gilt als abgemacht.«
    Sejer schaute zur Tür herein. »Ich möchte ja wissen, was die beiden angestellt haben. Zipp lügt, was die Uhrzeit angeht. Sie sind um Viertel nach sechs zusammen gesehen worden.«
    »Und ich möchte wissen«, sagte Skarre ernst, »ob uns vielleicht die Zeit davonläuft.«

6. SEPTEMBER
     
    Skarre fuhr am Fluß entlang, bog auf einem Kreisverkehr links ab und schaltete vor einem steilen Hang. Er kam nicht oft in diese Gegend, aber ihm gefiel das Viertel mit seinen eingewachsenen Gärten und den knotigen Apfelbäumen. Prins Oscars gate.
    Prins Oscars gate? Verwundert horchte er auf seinen eigenen Gedanken. Auf der linken Seite eine dichte Hecke. Nummer 17, verflixt, er war schon zu weit gefahren. Mußte den Hang hinauf und oben wenden. Er hielt vor einem schmiedeeisernen Tor. Entdeckte ein weißes Haus. Runzelte kurz die Stirn. Dieses weiße Haus mit den grünen Fensterrahmen, war das nicht sein Ziel? Was bedeutete das? Er stieg aus dem Wagen und schloß ab. Der Briefkasten zeigte ihm, daß der Name stimmte. Irma Funder. Langsam ging er über den Kiesweg. Drückte auf den Klingelknopf und wartete. Etwas störte ihn, machte es ihm unmöglich, sich zu konzentrieren. Er hörte aus dem Haus keinen Laut, konnte aber nicht ausschließen, daß jemand ihn durch den Spion anstarrte. Er versuchte, ein vertrauenerweckendes Gesicht zu machen. Eine Kette klirrte. Ein Schloß knackte. Im Türspalt tauchte ein blasses Gesicht auf.
    »Frau Funder?«
    Sie nickte nicht, sie starrte ihn nur an. Viel konnte er von ihr nicht sehen, nur Nase und Augen.
    »Was ist los?« fragte sie. Ihre Stimme klang brüchig. Er kam sicher ungelegen.
    »Runi Winther hat Ihren Namen genannt. Andreas’ Mutter. Sie wissen, daß er verschwunden ist?«
    Neuerliches Klirren. Füße, die drinnen auf der Matte scharrten. »Das hat sie mir erzählt.«
    Der Türspalt verbreiterte sich ein wenig. Skarre starrte sie ungläubig an. Er sah die graue Dauerwelle, die schmalen Lippen, das vorspringende Kinn. In seinem Kopf dröhnte eine Glocke. Das war sie! Die Frau, die plötzlich in seinem Büro gestanden hatte. Die – er versuchte, sich zusammenzureißen –, die im Laden die Nuckelflasche vergessen hatte. Was für ein seltsamer Zufall! Er war für einen Moment wie erschlagen. Das Gefühl, daß hier etwas schwer im Argen lag, wanderte langsam sein Rückgrat hoch. Er mußte sich auf das Geländer stützen, während sein Gehirn verzweifelt versuchte, sich daran zu erinnern, was die Frau gesagt hatte. Als sie in seinem Büro aufgetaucht war. Genau dasselbe wie die Frau am Telefon. Er lebt sicher nicht mehr lange. Ihm sträubten sich die Haare, genau wie bei ihrer ersten Begegnung.
    »Darf ich hereinkommen?«
    Er war so aufgeregt, daß seine Stimme zitterte. Er spürte zwei knallrote Flecken auf seinen Wangen. Das sah die Frau natürlich. Sie hatte Angst und wollte zurückweichen. Der Türspalt wurde wieder sehr schmal.
    »Ich weiß gar nichts.«
    »Frau Winther hat uns gebeten, mit Ihnen zu sprechen. Sie ist so verzweifelt.«
    »Das kann ich mir vorstellen. Er taucht schon wieder auf.«
    »Glauben Sie das?«

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