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Dunkler Schlaf: Roman (German Edition)

Dunkler Schlaf: Roman (German Edition)

Titel: Dunkler Schlaf: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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leise. »Als er es zum ersten Mal gesehen hat, sagte er: ›Scheiße, das ist ja reichlich heftig.‹«
    Sejer beugte sich dicht zur Leinwand vor. »Das ist bestimmt etwas für die Allerwenigsten. Auf diese Weise zu posieren.«
    »Warum meinen Sie?«
    Er zuckte mit den Schultern. »Ich versuche, mich selbst in einer solchen Situation zu sehen. Mir wäre das unmöglich.«
    »Vielleicht nehmen Sie sich ja zu ernst.«
    Ihr fielen seine dunklen Augen auf, die nicht braun waren, wie sie zuerst geglaubt hatte, sondern von einem tiefen Grau. Seine Haare mußten früher einmal rabenschwarz gewesen sein. Sie hielt ihn für eine praktische Natur, die Haare waren kurz geschnitten, und er bewegte sich mit beherrschter Eleganz, ohne irgend etwas darstellen zu wollen. Erwachsen, dachte sie.
    »Malen Sie nur, oder passiert noch mehr?«
    Sie hatte diese Frage befürchtet, aber nicht damit gerechnet, daß sie so schnell kommen würde. War der Mann unverschämt, oder hatte er ganz einfach einen ungewöhnlich guten Durchblick?
    »Das kommt schon vor«, sagte sie ausweichend.
    »Sie essen zusammen oder trinken vielleicht ein Bier?«
    Sie hustete kurz. »Äh, ja. Es kommt vor.«
    »Was kommt vor?« Er starrte sie an. Ein winziges Lächeln entschärfte seinen Blick.
    Sie nahm einen Pinsel aus einem Becher, spielte damit herum. Streichelte sich mit den weichen Borsten unter dem Kinn.
    »Wir schlafen miteinander.«
    »Wer hat die Initiative ergriffen?«
    »Ich. Was haben Sie denn geglaubt?« Auf diese Antwort folgte ein trockenes Lachen.
    Sejer schaute sich das Bild noch einmal an, sah die Begeisterung, die in jedem einzelnen Pinselstrich lag. Und die Kraft, die Jugend. Anna Fehn mochte zwischen vierzig und fünfundvierzig sein, Andreas war achtzehn. Aber das war ja eine alte Geschichte.
    Sie blickte zu Boden. »Um ehrlich zu sein, er hat wohl keine Lust darauf. Aber er tut es trotzdem. Als ob er glaubt, das werde von ihm erwartet oder gehörte dazu, ich weiß es nicht. Ich zerbreche mir oft den Kopf darüber. Warum er sich auf diese Weise zur Verfügung stellt.«
    Sejer konnte durchaus verstehen, daß ein junger Mann wie Andreas eine sich bietende Gelegenheit nutzte. Anna Fehn war keine blendende Schönheit, aber sie war doch attraktiv. Rund und blond.
    »Kennen Sie seinen Kumpel? Zipp?«
    »Andreas hat ihn erwähnt. Herablassend. Als sei dieser Zipp total unmöglich und absolut hoffnungslos.«
    »Sie sind seit Jahren befreundet.«
    »Ja. Und ich frage mich, ob seine Herablassung nicht eine Tarnung ist. Um große Begeisterung zu verbergen. Eine Begeisterung, so groß, daß sie ihm zu schaffen macht.«
    »Wie meinen Sie das?«
    Sie ging zum Fenster, wo das graue Licht auf den nackten Leib auf der Leinwand fiel.
    »Ich wage zu behaupten, daß ich eine gewisse Intuition besitze. Ich glaube, Andreas… er hat keine Glut. Ja, Sie verstehen sicher – er wirkt so gleichgültig. Ich glaube, ihm sind Jungen lieber. Ich glaube, er ist in Zipp verliebt.«
    Sejer starrte sie überrascht an.
    »Verzeihen Sie, wenn ich hier ein Gerücht in die Welt setze. Aber ich bin wohl nur ein Alibi. Etwas, womit er vor den anderen prahlen kann.«
    »Vor Zipp«, sagte Sejer nachdenklich. »Er ist nur mit Zipp zusammen.«
    »Das weiß ich.«
    »Sind Sie denn sicher?«
    »Manchmal ist es ganz offenkundig. Ich habe im Laufe der Jahre viele Modelle gehabt, und einige von ihnen waren homosexuell.«
    »Woran erkennen Sie das?«
    »Ich glaube, Frauen merken das schneller als Männer. Denken Sie nach. Ich sehe Sie. Sie sehen mich. Wir machen uns einige Gedanken. Als allererstes, vielleicht eine Zehntelsekunde lang. Bewerten uns gegenseitig. Möchte ich mit diesem Mann, dieser Frau ins Bett gehen? Ja oder nein. Wir ziehen diese Bilanz, gehen weiter und kommen zu unserem eigentlichen Vorhaben. Vielleicht legt die Spannung sich. Aber sie kommt immer als erstes. Eine Spannung, an die wir uns im Laufe der Zeit so gewöhnen, daß wir gar nicht mehr darüber nachdenken. Bis wir plötzlich einem Mann gegenüberstehen und merken, daß die Spannung ausbleibt. Das ist ein seltsames Erlebnis. Wir sind dann ganz locker. Frauen sind gern mit homosexuellen Männern zusammen«, sagte sie. »Männer aber wohl kaum mit lesbischen Frauen. Ist das nicht seltsam?« Plötzlich hatte sie etwas Provozierendes. Er hörte verwundert zu und ging in sich. War das sein erster Gedanke, wenn ihm eine Frau begegnete? Das konnte doch nicht sein! Abgesehen von Sara. Und Elise. Und ab und zu, ein seltenes

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